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D5/72 STORYS
Richard:
"Meine IFI-Story"
Heute im Nachhinein betrachtet, ist sicher vieles verklärt. Ein viertel Jahrhundert danach aus der Erinnerung aufgeschrieben, ist nun mal vieles subjektiv verbrämt. Als ich begann, die Homepage D5/72 zu bauen, dachte ich..."Na ein paar Bilder aus dem alten Studi-Bilderalbum, ein bisschen Text - fertig....basta. Aber mit der Beschäftigung mit dem Thema, mit den Bildern, alten Dokumenten und den Gesprächen mit ehemaligen Kommilitonen schalten in den Tiefen des Gehirns wieder alte Erinnerungen zusammen. Davon möchte ich hier einiges nieder schreiben. Auch war Im Internet zum Thema Studieren in der DDR fast nichts zu finden.

Einem Studienplatz in der DDR über den zweiten Bildungsweg zu ergattern war manchmal gar nicht so einfach. Zu allererst brauchte man eine Delegierung des Betriebes. Hier wurde gesichert, dass die Studienbewerber systemkonform waren und auch später der Arbeitsplatz gesichert war. Ich war damals 26 Jahre alt, schon mehrere Jahre berufstätig und arbeitete als Dreher in den Leuna Werken. Als ich diese Delegierung benötigte, bekam ich sie nicht. Grund: Angeblich mangelnde gesellschaftliche Aktivitäten. Auch war die Personalausstattung in meiner damaligen Abteilung knapp. Als ich danach den Antrag stellte, in die SED aufgenommen zu werden, wurde das abgelehnt, weil es hieß, ich will ja nur in die Partei wegen dem Studienplatz. Was ja auch stimmte. Mein Haken lag nun in einem Eintrag in der Kaderakte, den ich umschiffen musste. Der Weg war relativ einfach. Ich kündigte und gab einen anderen Betrieb an, in dem ich anfangen wollte. Dorthin wurde danach meine Kaderakte geschickt. In Wirklichkeit fing ich 30 Km nördlich, in den Buna Werken an. Dort erhielt ich dann die Delegierung zum Studium. Meine Kaderakte war nun wieder jungfräulich.

Zum Studium am Institut zur Ausbildung von Ingenieurpädagogen in Karl-Marx-Stadt/Chemnitz kam ich durch einen simplen Zufall. Eigentlich wollte ich in Eisleben per Fernstudium Maschinenbau studieren. Ein ehemaliger Armeekamerad, Frank Phillipp aus Halle, der zufällig schon am IFI studierte, brachte mich auf die Idee, doch noch zum Direktstudium zu gehen. "Die zwei Jahre....reitest Du auf einer A....backe ab, das zweite Jahr bist du eh im Betriebspraktikum.... und das Direktstudium ist viel, viel bequemer!"

Und so habe ich mich im Mai 1972 obwohl die Aufnahmezeit schon vorbei war, mal provisorisch beworben. Die Info, wie es am besten klappt, hatte ich von Frank: "Du paukst in Physik ein bissel was vom Freien Fall, in Mathe werden quadratische Gleichungen abgefragt....und liest einen Tag vor der Aufnahmeprüfung   das "Neue Deutschland". So war es und so hatte ich die Aufnahmeprüfung (eigentlich nur ein Aufnahmegespräch) im Juni 1972 an einem Vormittag bestanden und konnte am Nachmittag stolz meiner Frau per Telegramm berichten: "Ich bin immatrikuliert"

Eine Hürde hatte ich aber doch noch zu umschiffen. Bei der ärztlichen Untersuchung wurde mir "Stigmatismus Adentalis" attestiert. Also auf gut Deutsch: Ich lispelte bem Sprechen. Und da ein Pädagoge, welcher lispelt ein Unding ist, musste ich das abstellen. Die Sprecherzieherin an der Uniklinik in Halle, welche mich dann unter die Fittiche nahm, hatte eine seltsame aber wirksame Methode: Ich musste tagelang mit einem Streichholz zwischen den Zähnen Goethe und Schiller deklamieren. Das half dann und konnte anschliessend "Susi sag mal Saure Sahne" und "66666" ohne üble Zischlaute sprechen. Die Zunge blieb hinter den Zähnen.

So, ehe der persönliche Bericht weiter geht, ein paar Fakten: Die "Institute zur Ausbildung von Ingenieurpädagogen" (IfI) waren zur damaligen Zeit in der DDR ein wenig seltsame und komische Einrichtungen. Innerhalb des DDR Bildungssystems entstanden in den 60er Jahren Fachschul-Bildungseinrichtungen aus ehemaligen Lehrmeisterschulen unter der Schirmherrschaft verschiedener Ministerien. Im staatlichen Bildungssystem spielten diese Bildungseinrichtungen eine Zwitterrolle zwischen Fach-Ingenieurschule und Nicht-Ingenieurschule. Auch aus diesem Grund entstand der eigentümliche  umständliche Name "Institut zur Ausbildung für Ingenieurpädagogen". Karl-Marx-Stadt war für allgemeinen Maschinenbau Verarbeitungsmaschinen- und für Fahrzeugbau zuständig, Gotha für Elektrotechnik und Ingenieurökonomie. Ziel dieser Bildungsinstitute war Lehrkräfte für den berufspraktischen Unterricht für die Industrie auszubilden. Das IFI Karl-Marx-Stadt unterstand dem Ministerium für allgemeinen Maschinen- und Fahrzeugbau. (Eine heute vergleichbare ähnliche Ausbildung mit verquicktem stärkerem Praxisbezug als wie an den Fachhochschulen gibt es wieder in den neuen Berufsakademien!)

Was viele damals nicht wussten.....und ich aber damals durch verschiedene Zufälle mit bekam.....diese Institute hatten ein grosszügigeres Budget als die meisten "normalen" Ingenieurschulen in der damaligen DDR. Da die Haushaltsmittel nicht wie bei den "normalen" Ingenieurschulen aus dem "normalen" staatlichen Bildungshaushalt kam, sondern direkt vom Ministerium, war die Ausstattung relativ opulent. Zum Beispiel war damals ein Sprachlabor an der technischen Hochschule in Karl-Marx-Stadt fast eine Utopie. Das IfI hatte hier alles vom feinsten. Auch die technischen Labore, die Ausstattung der Lehrkabinette und Vorlesungsräume waren auf dem neusten Stand. Ständig wurde erweitert, ausgebaut und umgebaut. Einzigstes Handicap. Das IfI hatte keine eigene Turnhalle. Als ich nach einem halben Jahr Hilfsassistent im Fach Methodik wurde, wurde ich auch Studi-Chef vom Fotolabor. Wenn technische Ausrüstungen für dieses Labor besorgt werden mussten, hatte ich grosszügige Mittel zur Verfügung.

Ein weiteres Qualitätskriterium waren die damaligen Dozenten. Hier kann ich im Nachhinein konstatieren, dass diese Lehrkräfte  uns den damaligen aktuellen Stand des Wissens in den jeweiligen Fachgebieten sehr gut methodisch und didaktisch  vermittelten. Besonders die Dozenten für die technischen Fächer waren Spitzenkräfte. so war nun das Ergebnis ihrer bemühungen auch nicht von schlechten Eltern. Die IfI Absolventen waren in der damaligen Wirtschaft gefragte Leute. Man hat sich in den Betrieben um uns gerissen. Wir merkten das schnell und waren ein wenig stolz. Defizite gab es nur bei der CNC Ausbildung wegen irgendwelcher Ministeriumsinternen Querälen. Das wurde aber abgestellt und unsere Nachfolger hatten eine toppe CNC Ausbildung.

Die Ausbildung war straff nach einem frontalem Unterrichtssystem organisiert und lässt sich mit heutigen Zuständen nicht mehr vergleichen. Der Stundenplan war auf  2 komplette Semester festgeschrieben.Ca. 50% waren   naturwissenschaftliche Fächer, technisch/wissenschaftliche Ausbildung, 25% Pädagogik und leider auch zwangsläufig 25% marxistisch/kommunistische Theorien.... Marxismus-Leninismus (ML), Politische Ökonomie des Sozialismus, Politische Ökonomie des Kapitalismus, wissenschaftlicher Kommunismus). ungefähr 20 Prozent der Studenten waren Mitglied der SED. In der FDJ (Freie Deutsche Jugend) waren ausnahmslos alle Studenten. Einige, so wie ich sind im 2. Lehrjahr offiziell mit einem kleinen Trick ausgetreten. (Wir waren über 27 Jahre alt und nach dem Statut der FDJ ging die Mitgliedschaft nur bis zum 26. Lebensjahr). Die Indoktrinierung auf Thesen und Praxis der Kommunistischen Erziehung war wie im gesamten damaligen Bildungssystem rabiat. Die Wertigkeit der ML Fächer lag vor den naturwissenschaftlichen Fächern innerhalb des Bewertungssytems. Die Exmatrikulationsquote lag bei ungefähr 20%. In unserer Seminargruppe D5/72 lag sie weit niedriger. Ein Student wechselte nach dem 2. Studienjahr zur technischen Hochschule. 2 Studenten wurden auf Grund der Leistungen und aus familiären Gründen exmatrikuliert. Einzigstes Nebenfach war Englisch.

Das Studium begann Anfang September 1972 mit einem einwöchigem Immatrikulationslager in....................Das war vom Institut gut organisiert. Man hatte uns in dieser einen Woche zum einen auf Gruppenbildung trainiert, vermittelte Methoden der geistigen wissenschaftlichen Arbeit und schlug uns natürlich auch die unbeliebten politischen sozialistischen Theorien um die Ohren.
Kein Witz:  Alle Mitglieder einer frisch gebackenen Studentengruppe werden nach der Motivation befragt, warum sie Ingenieurpädagogik studieren und wo sie herkommen. Ein frisch gebackener Student: "Ich komme vom Bund aus Frankfurt/Main und interessiere mich für das Fachgebiet Erziehung!" Ergebnis: Sofortige Exmatrikulation. Sowas gibt´s nicht, sowas darf es nicht geben. Bei der Aufnahme hatte  man Frankfurt/Main mit Frankfurt/Oder verwechselt. ...Der war tatsächlich aus dem Westen....der war sogar auch noch bei der Bundeswehr.....Einen dermassen kapitalistisch/imperialistisch indoktrinierten Studenten konnte man nicht dulden.

Nach dem Immatrikulationslager fuhren erst einmal alle Studenten wieder nach Hause. Ich dagegen fuhr mit Frank Edel gleich nach Karl-Marx-Stadt um getreu der Devise "Wer zuerst kommt, mahlt zuerst" Quartier zu machen. Von einem älteren Studenten hatte ich gehört, dass die Versorgung mit Studentenwohnheim-Plätzen zwar gesichert ist - das Problem, das man aber eventuell früh 15 Km Eisenbahn und Strassenbahnfahrt am Hals hat zu überwinden ist, wenn man rechtzeitig da ist. Und so waren wir rechtzeitig da. Der Wohnheim Platz kostete 9,00 DM im Monat und lag 5 Minuten weg vom Institut.

Es ging zum Studienanfang denn relativ schnell zur Sache. Nach einigen Tagen Grundlagen Pauken bekamen wir den Stoff in gehörigen Portionen um die Ohren gehauen. Alles stöhnte, alles jammerte.....das schaffen wir nie! Im Vergleich zum Lernen in der damaligen Polytechnischen Oberschule war vieles total anders. Grundsätzlich fast jeden Tag gab es Vorlesungen und es dauerte einige Wochen, ehe in Seminaren der Stoff differenzierter aufbereitet und verarbeitet wurde. Viele mussten nach dem normalem Lernpensum im Institut bis in die Nacht pauken. Der Anteil Hausaufgaben war wenig zu spüren. Dafür waren die Klausuren und Testate knallhart. 

Mogeln war Anfangs kaum möglich, da in A,B,C Aufgabengruppen geschrieben wurde. Die Erlösung kam dann, als wir mitbekommen hatten, das die Vorbereitungen für die Vorlesungen und Seminare zumeist von Studenten als Ing.-Arbeiten im vorigen Studienjahr angefertigt wurden. Diese waren in der gut sortierten Institutsbibliothek zu finden. Da aber der Stoff sehr gut methodisch aufbereitet war, wurde mit der Zeit das Studieren leichter. Ein Schwerpunkt des Studiums "Techniken der wissenschaftlichen geistigen Arbeit" lenkte das Lernen auf das Wesentliche. In diesem Zusammenhang kann ich auch die erste Exkursion in die Deutsche Bücherei nach Leipzig nicht vergessen, wo man beigebracht bekam, das man nicht unbedingt immer alles wissen muß. Man muss nur wissen wo es steht....und das möglichst fix. Gespräche mit Studenten anderer Ingenieurschulen brachten die Erkenntnisse, das dort noch nach alten Methoden gelehrt wurde. 

In der Deutschen Bücherei bekam ich auch von Herrn Hahn die nette Methode beigebracht, wie man an Westliteratur rankommt. Man sammelte einfach ein paar entsprechende Bibliotheksformulare ein und drückte sie einem Studenten in die Hand, der dann den Genehmigungsantrag für Westliteratur unterschrieb und in den Kopf ein paar wichtige Abteilungsnummern eintrug. Das wurde von der Deutschen Bibliothek nie überprüft und so konnte ich ab diesem Zeitpunkt monatlich die FAZ, den Stern und natürlich auch internationale Fachliteratur lesen, welche in der Deutschen Bibliothek im sogenannten Giftsaal auslag.

Dass das Institut ausstattungsmässig auf der Höhe der Zeit war, hatte ich schon erwähnt. Bemerkenswert war, das diese relative kleine Bildungseinrichtung einen nicht unwesentlichen Anteil an der Produktion aktueller Fachliteratur für den Sektor Maschinenbau in der DDR hatte. Einige Dozenten waren Autoren im verschiedenen Technik Verlagen und im Verlag VVW. Auch in den späteren Jahren entdeckte ich oft IfI mässiges in der Fachliteratur. 

1+1= 2 und ein Kugellager von Kugelfischer hält nun mal drei mal so lange wie ein Kugellager aus einer Kugellagerfabrik in Leipzig. Der in den Niederschachtöfen und Elektroöfen der DDR hergestellte Stahl hatte nun mal mehr Verunreinigungen. Diese Fakten, welche wir fast täglich ausrechnen mussten, besänftigten auch die wildesten "Genossen" und ideologische Diskussionen mit linientreuen Hardlinern unter den Studenten. Wenn wir auch zwangsläufig alle durch die Bank Mitläufer waren, (Ein zukünftiger Pädagoge musste sich halt damals entsprechend wenigstens äußerlich kommunistisch positionieren), so kann man schon sagen, dass ungefähr 90 Prozent den ganzen Quatsch "wissenschaftlicher Kommunismus" nicht glaubten. Das sah man schon klammottenmäßig. Fast jeder humpelte der westdeutschen Mode hinterher, im Radio dudelte den ganzen Tag der Bayrische Rundfunk oder Radio Luxemburg. Und wenn wir auch damals ausnahmsweise arme Hunde waren, eine Levis hatte jeder und mancher hatte sogar zwei. das FDJ-Hemd wurde nur auf Anordnung von oben angezogen für offizielle politische Meetings und Vorbeimärsche am 1.Mai vor dem Nüschel (Karl-Marx-Denkmal von Lew Kerbel). Das sozialistische Freizeitleben gab es auch auf grössten Druck nicht. So Blödsinn , wie "Zirkel sozialistischer Arbeit", welche man uns von der Institutsleitung auf die Nase drücken wollte, stand nur auf dem Papier. Von Leben und praktischer Realität war das nicht erfüllt.

Die Dozenten waren mässig bis mittelmässig linientreu. Wenn man nach den Lehrveranstaltungen mit einigen Dozenten bei einem Glas Bier sass, bekam man auch mal eine total andere Sichtweise auf die "sozialistischen Realitäten" vermittelt, als wie einige Stunden vorher doziert. Es war praktisch wie in allen Bereichen der DDR: "Wessen Brot ich freß, dessen Lied ich sing". Da hat eben dieser und jener Dozent mal mehr, mal weniger laut gesungen. Wir haben so, oder so da kaum hingehört.

Neu für uns war auch die Bekanntschaft und der Kontakt mit ausländischen Studenten. Neben einigen einzelnen Algeriern waren das bis zu 10 Prozent vietnamesische Studenten. Anfangs gab es großes Mißtrauen und Vorurteile. Wir hielten die Vietnamesen für dümmer und primitiver. Das änderte sich aber sehr schnell. Die waren zum Teil intelligenter als wir, hatten fundiertere Grundkenntnisse und obwohl sie alle viel kleiner waren als wir, bekamen wir beim Volleyballspiel Saures. Auch waren die Vietnamesen viel fleissiger und disziplinierter. Kaum einer von denen ging zur Disko. Die lernten, die arbeiteten nebenbei für ein Moped oder eine Nähmaschine. Der eine Algerier, den wir mal kurz mit im Internat erlebten ging nach einem Jahr an die FU in Berlin. Obwohl sein Vater ein großer kommunistischer Gewerkschaftsbonze in Algerien war, zog er ein Studium im kapitalistischem Westberlin vor. Er hatte noch fix ein Karl-Marx-Städter Mädchen geschwängert und verschwand wieder.

Neben dem Studium war wie auch heute bei den jungen Leuten vieles viel viel wichtiger. Die Freizeitaktivitäten  nahmen bedeutende Umfänge an. An erster Stelle stand bei vielen der Sport. Einige spielten in einer Band, sangen in Singegruppen oder machten in einem Studentenkabaret mit. Die Organisation der Partnerwahl war anders determiniert als heutzutage. So hatte fast jeder eine feste Partnerschaft, aus denen sich zumeist eine  Ehe schon damals entwickelte. Kurz nach dem Studium waren fast alle verheiratet. Heute dauert das schon mal 10 +++ Jahre länger, man nimmt sich mehr Zeit für die Karriere und wuselt als Singl viele Jahre herum.

Das knappe Stipendium wurde wie auch heute durch nebenbei jobben durch Nebenjobs aufgebessert. Ich hatte Glück und wurde im 2. Studienjahr Hilfsassistent im Fach Methodik. Das gab 80 DM/monatlich extra. Als ich dann noch als Bildjournalist jobbte und in der Nachtredaktion der Tageszeitung "Freie Presse" ("Grosse Fresse") ab und zu die Pickel der damaligen Nomenklaturkader retuschierte, war es finanziell auszuhalten. Das waren auch Jobs, welche interessant waren und wo man neben dem Studium auch vieles dazu lernte, was man später im Berufsleben gut gebrauchen konnte. Einzigster Nachteil - in mancher Vorlesung bin ich schlicht und einfach eingeschlafen. Es gab viele Studenten, welche hart in vielen Nachtschichten auf dem Güterbahnhof oder dem Bahnpostamt ihre Brötchen verdienten. Einige Studenten verkauften im Herbst Einkellerungskartoffeln und so hatten wir dadurch auch einige Zentner Fressreserven. In den Semesterferien hat man als zukünftiger Pädagoge zumeist in Ferienlagern gearbeitet. Bei freier Kost und Logie und ordentlicher Bezahlung waren das gesuchte Jobs. Die Nebenjobstrukuren wurden von älteren Studenten geerbt und als wir unser Studium beendet hatten auch wieder weitervererbt. Das geschah nicht immer umsonst für ein paar gute Worte. Meine Nebenjobs habe ich für 200 Mark weiter verkauft.

Ein grundsätzliches Problem nach dem Studium war die freie Arbeitsplatzwahl. Fast alle Studenten waren durch eine Betriebsdelegierung zum Studienplatz gekommen und hatten dadurch die Verpflichtung am Hals, im Delegierungsbetrieb auch die Arbeit aufzunehmen. Wenn sich dann durch eine Partnerschaft eine andere Konstellation in Hinsicht auf einen gemeinsamen Wohnort ergab, gab es Probleme. Manche haben das ganz gut gemeistert, manche aber auch nicht gleich und mussten ein bis zwei Jahre in den sauren Apfel Arbeitsplatzbindung beissen. Der allgemeine Trick das zu umgehen, war ein offizieller Umzug nach der Arbeitsplatzaufnahme. In der Arbeitsgesetzgebung der DDR gab es keinen Grund mehr, dann die Arbeitsplatzbindung aufrecht zu erhalten. Man musste diesen Trick aber kennen. Aber die meisten wussten das.

Wie heute auch noch, hatte die materielle Unterstützung durch die Familien einen hohen Stellenwert. Am Wochenende fuhren fast alle ausnahmslos in ihre Heimatorte. Man fuhr mit dem Schülerfahrkartentarif der Deutschen Reichsbahn und dieser war spottbillig. Ehemalige Reichsbahnangehörige fuhren absolut gratis und hatten auch noch Freifahrkarten für Kameraden übrig. Am Montag waren die Kühlschränke regelmässig voll. Auch eine Fahrkarte nach Prag kostete damals hin und zurück um die 8 Märker. Ich bin oft am Wochenende nach Prag gekutscht und habe mich in einem Wohnheim des internationalen Studentenbund für sechs Mark/Tag inklusive Vollverpflegung einquartiert. Der Liter Bier kstete damals im UFleku 3 Kronen und so hatte man für 25 Mark ein schönes erholsames Wochenende.

Im Vergleich zu dem Studium meiner Kinder war das Studentenleben allgemein gesehen sorgloser und bequemer. Man hatte nach dem Studium keine BAFÖG Schulden am Hals, die Jobs wurden einem hinterher getragen. Aber auch viele Nachteile gab es damals. Als grössten Nachteil empfand ich die geistige und politische Bevormundung. Wie man zu Denken hatte, war vorgeschrieben. Meinungsfreiheit und Demokratie stand zwar in der Verfassung auf dem Papier. Die Realität war anders. Eine sozial menschlich degenerierte Parteienkaste bestimmte nach diktatorischen Prinzipien das gesellschaftliche Leben und hebelte tausende Jahre alte wirtschaftliche Regularien des Wettbewerbs aus. Viele Studenten kamen aus der Praxis der Betriebe und sahen die Realitäten einer sozialistischen Mangelwirtschaft täglich an vielen Beispielen. Hier gab es für viele das Problem, im Unterricht und Seminar trotz besseren Wissens das pure Gegenteil zu heucheln. Es gab aber nicht wenige, welche damals in der Mitte der siebziger Jahre noch dachten, das System wäre zu verbessern und zu reformieren.

Später in der Berufsrealität nach dem Studium gab es zwei Möglichkeiten. Entweder man heulte mit den Wölfen mit und machte mit dem guten Fundament der IFI Ausbildung seine Karriere, oder man ging in die innere Emmigration. So nach ersten Befragungen der ehemaligen Kommilitonen kann ich sagen, das das Verhältnis so fifty/fifty war.

Gut organisiert innerhalb des Studienablaufs war der Anteil der Exkursionen, der theoretischen und praktische Übungen. Für die Leipziger Herbst- und Frühjahrsmesse gab es gratis Fahrkarten, Messeausweis und Studienaufträge, welche glashart bewertet wurden. Ich war regelmässig bei Seiko und Toyo (japanische Wälzlagerhersteller) auf der Matte. Beim zweiten Besuch hatten die schon eine Aktentasche mit den neusten Produktionsunterlagen und neusten wissenschaftlichen Ergebnissen voll gepackt. Publikationen des IFI waren in Japan bekannt....durch mich....weil ich die neusten Methodikunterlagen denen als kompletten Foliensatz in die Aktentasche packte. Gerne hätten die mich mal nach Japan eingeladen.....nur es wusste ja jeder das ging nun mal nicht! Offiziell sollte ich zwar bei der sowjetischen Wälzlagerindustrie recherchieren...... Da war aber nix zu holen. Das neuste war eine russische Übersetzung der Wälzlagerberechnungstabellen der Fa. Kugelfischer aus Schweinfurt aus dem Jahre 1936. Und da wurden solche Ergebnissätze wie dieser formuliert. "Der harte kapitalistische Wettbewerb zwang die Fa. Kugelfischer aus Westdeutschland eine führende Position im Weltmarkt einzunehmen, welches aber nicht im geringsten an die hervorragenden Leistungen der sowjetischen Genossen heranreicht".) Das war bewusst gelogen  - und wurde so verlangt. Die aktuelle wissenschaftliche technische Orientierung war bei uns Studenten lag trotz aller Widernisse auf westliche wissenschaftlich technische Ergebnisset. Diese Ergebnisse standen nun mal in den Publikationen westdeutscher Verlage.

Ende 1973 gab es eine Einladung über den internationalen Studentenbund aus Eisenstadt in Österreich. Die hatten in der dortigen Berufsschule davon gehört, das wir für komplizierte technische Abläufe einfache methodische Handreichungen erarbeitet hatten und wollten mit uns diskutieren. es kam dann auch zu einer Reise. Nur mit dem kleinen Hindernis, das nicht wir, die eingeladenen Studenten und Dozenten nach Eisenstadt gefahren sind, sondern 3 Funktionäre des FDJ-Bezirksvorstands Karl-Marx-Stadt. Wir mussten denen, welche in den Fachbereich Maschinenbau wie die Sau ins Uhrwerk blickten, unsere Unterlagen rausrücken. Damit fuhren die dann 14 Tage ins schöne Österreich und spielten dort Wälzlager Experten.

Viele Jahre danach lernte ich Kollegen aus Klagenfurt am Plattensee kennen, welche diese "Experten" kennen gelernt hatten. Deren Resümee: "Die hatten keine Ahnung, konnten aber gut Saufen"!

Im Dritten Jahr ging es wieder zurück in den Betrieb. Einmal im Monat für eine Woche nach Karl-Marx-Stadt zur Konsultation. Das gute Verhältnis von Praxis und Theorie brachte uns viele neue Erkenntnisse und Erfahrungen im letzten Studienjahr und bildete einen fliessenden Übergang in die volle Berufstätigkeit.

Als ich dann voll im Beruf als Ingenieurpädagoge im Buna Werk steckte, merkte ich, das ich was total falsches für mich studiert hatte. Die Verquickung von Pädagogik und Technik fand ich zwar immer noch richtig - nur der zunehmende Anteil der politischen Einflußnahme entsprechend der Staatsdoktrin auf die Berufsschüler ging mir total gegen den Strich. Als vordringliches Arbeitsziel eines Berufspädagogen kommunistische Erziehung mit penetrant zu integrieren, war gegen meine Überzeugung. Nach einem dreiviertel Jahr Praxis nutzte ich eine Gelegenheit, um mich dem wenigstens teilweise zu entziehen.

Auf Grund der guten flexiblen Ausbildung konnte ich aber die IFI Kenntnisse auch ohne weiteres in anderen Tätigkeiten anwenden. Am IFI wurde auf Lernflexibilität und Kenntnisflexibilität gesetzt und der sinngemäße Schlußsatz unseres damaligen Rektors bei der Abschlussfeier "Das Lernen hört nicht auf!", bewahrheitete sich und ist auch heute ein viertel Jahrhundert danach noch voll gültig. Dass das Lernen auch Spaß machen kann, habe ich im Verlaufe meines Lebens erst im IFI gelernt und bin somit den ehemaligen Dozenten dafür heute noch dankbar. Besonder Dank gilt unserem Seminargruppenbetreuer Herrn Zschiedrich, der es sehr gut verstand, unseren wilden Haufen zu zähmen und uns vielfältige Unterstützung bei der Lösung der Studienaufgaben zu geben.

©  20.01.2001 Richard Hebstreit
 

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