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ANNA 92

Es ist schon eine Latte an Jahren her, wo es noch üblich war, dass man den Personalchefs nicht in den Hintern kriechen musste, um den Job zu bekommen, den man haben wollte. Es war schlichtweg vor vielen Jahren in Mitteldeutschland anders herum. Keine Leute, keine Leute! 

An einem schönem Montag vor einigen Jahren  gegen 8 Uhr stehe ich in der Kaderabteilung des Chemischen Kombinates in Buna auf der Matte und will einen Job für ein Jahr und ein Delegierungsschreiben zum Maschinenbaustudium. 

Wahrscheinlich war bei dem netten Personalmitarbeiter tagelang keiner im Büro und ich bekomme erst einmal ein Schwall von Sätze um die Ohren gefegt, welche riesigen Vorteile mein Arbeitsvertrag mit dem Dreißigtausendmannunternehmen in sich bergen könnte. 

Es gäbe sogar Gratisbadelatschen! 

Ich erläuterte dem Typ, dass ich eigentlich für meinen erlernten Beruf als Dreher schlichtweg keine Lust mehr habe. "Schichtarbeit, zu langweilig immer die gleichen Teile drehen zu müssen, den lieben ganzen Tag oder auch in der Nacht an der Maschine stehen, zu laut, zu dreckig, zu schlecht bezahlt." Das konnte man damals dem Personalmenschen unbeschadet an den Kopf werfen. 

Ich äußerte, dass ich vor dem Studium eigentlich noch mal was anderes machen wollte - Hauptsache, ich lerne viel Neues dazu, war mein damaliges Anliegen. "Kein Problem" war die süffisante Antwort und wenige Minuten später sass ich in einem klapprigem Wartburg und wurde zur Arbeitsplatzbesichtigung durch den Betrieb gekarrt. Zuerst ging es zu einer Chemieanlage, wo Reparaturschlosser gelangweilt beim Kartenspiel saßen. Gespräche mit diesen Kollegen ergaben, dass es meisstens nach dem Mittagessen irgendwo kracht, und die ganze Blase auf Rohrbrücken und Benzincrackanlagen mit dem Schweißgerät umher turnen muss. Da es mir ab 5 Meter Höhe schlichtweg schlecht wurde, bat ich um weitere Besichtigungsorte zu ebener Erde. Auch konnte ich kein Doppelkopf. 

Der nächste Arbeitsort war eine riesige Halle in der kleine grüne Dampflokomotiven herum kutschten. Hier wurden Hochdruckanlagen für die Gummiproduktion montiert. Die Leute dort waren sehr nett. Weniger nett, war eine schwarze Warntafel mit den tödlichen Betriebsunfällen aus Unachtsamkeit. 2 Kollegen waren vom Kran gefallen, einer von einer kleinen grünen Lokomotive überfahren worden und zwei waren in ein grosses Loch in der Halle gefallen. "Wenn ich schön aufpasse, würde mir schon nichts passieren" war der Kommentar meines Begleiters. 

Und weiter ging es zu Arbeitsstätten, die zu laut, zu dreckig oder zu gefählich waren. Fast nix zu tun gab es in einer Chloranlage, wo fast nur Strafgefangene aus dem Hallenser Knast arbeiteten. Ein Gruppenleiterposten wäre auch bei meiner niedrigen Qualifikation als Facharbeiter drinne gewesen. Lernen könne ich aber hier was, da ich von all dem absolut keine Ahnung hätte. Mit einem leichtem Chlorgeruch an der Jacke bin ich da fluchtartig verschwunden. 
 

Mittlerweile war es schon gegen 11 Uhr und mein Jobbesorger schleppte mich in eine kleine Baracke im Süden des Werkgeländes. Über der Eingangstüre hing ein kleines Holzschild "ANNA 92". In ANNA 92 war es dunkel, weil die kleinen Fenster mit wachsfarbenen Gummiplanen abgedunkelt waren. Auf einer Werkbank schliefen 2 Kollegen, ein Kollege sass todmüde in einer Ecke und las eine Fußballzeitung. Interessant, dachte ich und fragte, was man hier macht. Mein Begleiter wusste es nicht genau. "Wir gehen mal zum Meister!" 

Der sass in einem kleinem Hohlblocksteinkabuff nebenan und fütterte gerade seine Fische. 

Nach einem kleinen Vortrag über Scalare und Guppys rückte Meister Rühlemann mit seiner Aufgabenstellung heraus. "Wir sind die Aufmacher!" "Wie?  Was? Wer? Warum? Wo macht ihr was auf?" waren meine verdatterten Fragen. "Na alles! Getriebedeckel, Pumpengehäuse, Tresore, Aktenschränke, Bürotüren. Jeder, der seinen Schlüssel im Werk versiebt hat, oder abgebrochen, ruft uns an. Wir kommen dann und machen alles fix wieder auf. Es gibt nichts, was wir nicht aufbekommen. Auch Maschinenteile, wo alles festgerostet ist oder ein wichtiger Bolzen ist abgebrochen ist unser Arbeitsgebiet." 
 

Die Probezeit wäre maximal 4 Wochen und 4 Probezeitler wären dieses Jahr schon im Einsatz gewesen. Ich wäre der Fünfte......"man könne es ja mal versuchen"....Montag nächste Woche kannst Du anfangen!" Klar fing ich da an. Aber so gemütlich und gammelig, wie ich erst gedacht hatte, war es nicht. Die Kollegen hatten 16 Stunden am Stück hintereinander durchgearbeitet und hatten es vor lauter Müdigkeit nicht mehr nach Hause geschafft. Nach 4 Wochen war ich im Team und habe in dem Jahr vor dem Studium in Sachen Metallverarbeitung und -bearbeitung furchtbar viel bei den Kollegen von ANNA 92 gelernt. Auch über 5 Meter in der Höhe herum zu hantieren wurde zum Klacks.  

Schade war nur, dass ich in all meinen späteren Bewerbungen und Personalgesprächen mit diesen Erfahrungen maueren musste. Jemand, der mit Links und vierzig Fieber jede Tür und jeden Tresor knacken kann, ist nur bei einem Schlüsseldienst oder bei der Geldschrankknackergilde optimal qualifiziert.

 

. richard hebstreit 
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