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Der Berufsberater
 
 

(noch nicht fertig ....eventuell Anfang  2003) 

1976 im beginnenden Winter wird unser Sohn Knut krank. Pseudokrupp sagen die Ärtze und es wird der dringene Hinweis gegeben, das wir aus der Gegend Halle verschwinden und eine Gegend mit sauberer Luft aufsuchen sollen, um Knut wieder heilen zu können. Ich hatte in Thüringen, in Bad Salzungen vom Grosvater ein Haus geerbt, da lag es nahe wieder in die Thüringer Berge zu ziehen. Jobs dachten wir, meine Frau und ich gab es genug, also nix wie weg nach Thüringen. Meine Frau und ich hatte aber erst einmal mit der Jobsuche Pech. Ein Arbeitsplatz in einem Kindergarten als Kindergärtnerin war nicht frei - aber in der Abteilung Berufsbildung - Berufsberatung des  Rates des Kreises war eine Stelle vakant. Traudel, meine Frau war in der Partei, eine Voraussetzung für diese Stelle, - und so konnte sie diesen Job bekommen. Ich erhielt auf meine Bewerbungen in den für mich in Frage kommenden Betrieben ebenfalls Absagen. Mein Problem war, ich war nicht in der Partei und die allgemeinen Lehrausbilderposten waren alle besetzt. Abteilungsleiter für Berufsausbildung suchte man - nur ich hatte dafür nicht das entsprechende Parteibuch. Eigentlich hatte ich gar keins.

Aber wie der Zufall so spielt, wurden massiv seit 1975 in der DDR die Berufsberatungszentren gegründet und meine Frau hatte davon Wind bekommen. Die Tätigkeit war eigentlich total neu für mich und ich fand diese nach einer kurzen Information über den Inhalt der Tätigkeit höchst interessant. Irgend wie fiel es nicht sehr auf, dass ich nicht "Genosse" war und wurde auf meine Bewerbung hin sofort eingestellt.
 

Mit zwei belegten Semmeln, einer Thermoskanne Tee, einem kleinen Notitzblock und einer gehörigen Portion Neugier laufe ich am .... die ca. 2 Km zu meiner neuen Arbeitsstelle in der Rosa-Luxemburg-Straße.
Es empfangt mich um 8.00 Uhr mein neuer Chef Dieter Durner, der  auch ganz frisch erst vor 2 Wochen diese Stelle angetreten hat.

Mein  neuer Job als Berufsberater beinhaltet im großen und ganzen folgendes: 

"Alle Schüler sind entsprechend der Verordnung vom 15. April 1970 über die Berufsberatung (GBI. I Nr. 43 S. 311) langfristig und systematisch zu befähigen, ihre Berufsentscheidung in Übereinstimmung mit den gesellschaftlichen Erfordernissen und ihren persönlichen Interessen, Neigungen und Fähigkeiten verantwortungsbewußt und mit Sachkenntnis zu treffen."

"(1) Zur langfristigen Berufsorientierung sind die Schüler und ihre Erziehungsberechtigten über die beruflichen Ausbildungsmöglichkeiten unter besonderer Berücksichtigung der ökonomischen Struktur des Kreises zu informieren.

(2) Die Berufsberatungszentren haben die von den Schulen ermittelten Berufswünsche der Schüler zu analysieren und die Ergebnisse mit Betrieben und Schulen auszuwerten. Die Schüler sind bis zu ihrer Bewerbung um eine Lehrstelle durch differenzierte Maßnahmen bei der Berufswahl zu unterstützen.

(3) Zur Vorbereitung auf ihre Berufsentscheidung sind die Schüler über die für die Schulabgänger des Kreises geplanten Lehrstellen zu informieren. Dazu sind den Schulen sowie den Berufsberatungszentren und -kabinetten Lehrstellenverzeichnisse zu übergeben."

Dazu war einiges eigentlich ganz einfach organisiert. Die Anzahl der geplanten Lehrstellen deckte sich mit der Anzahl der Bewerbungen und jedem Schulabgänger wurde so eine Lehrstelle gesichert. Das war das praktische in der DDR Planwirtschaft, man konnte den Laden strukturieren wie die Struktur sich abbildete, abzeichnete. Da generell in vielen Betrieben Personalmangel herrschte, wurden ein paar wenige Lehrstellen mehr geplant, um ein wenig Wettbewerb in das System zu bringen. Die Überhangplanung erfolgte aber hauptsächlich in den Berufen, die aus welchen Gründen auch immer volkswirtschaftlich wichtiger waren. Das waren ohne Ausnahme Lehrstellen in der Landwirtschaft und in produzierenden Bereichen der Industrie. Lediglich die Kapazitäten der Berufsschulen war hier eine einstweilige Grenze. Prinzip war aber generell dass die Lehrstellen entsprechend der volkswirtschaftlichen Struktur des jeweiligen Kreises geplant wurden. Waren zum Beispiel 40 % der Beschäftigten in der Industrie, wurden 40% der Schulabgänger für Lehrstellen in der Industrie geplant. Landwirtschaft 20% gleich 20% Lehrstellen Landwirtschaft. Der Rest, Dienstleistungen ebenfals 20/20. Innerhalb dieser Bereiche erfolgte eine differenzierte Aufgliederung nach Berufsgruppen. Die Zahlen und Prämissen dazu lieferte die staatliche Plankommision beim Rat des Kreises zusammen mit der Abteilung Berufsbildung und der Abteilung Volksbildung. 
 

Die Praxis für die Schüler sah aber regelmäßig oft dramatisch anders aus als wie geplant. Auf ca. 70 geplante Lehrstellen  Fahrzeugschlosser (Kraftfahrzeugschlosser) wurden 400 Schüler in einer Jahrgangsstufe erfasst, welche diesen Beruf erlernen wollten. 
Von den 70 Fahrzeugschlosser Lehrstellen entfielen ca. 50 auf Volkseigene Betriebe, davon 30 auf Lehrstellen für künftige Berufsoffiziere und Berufsunteroffiziere der NVA. Die restlichen 20 Lehrstellen waren für Kinder der selbständigen Handwerksbetriebe und der Produktionsgenossenschaften (PGH) vorgesehen.

Auf 15 Lehrstellen Kerammaler und Dekorierer wollten sich nun 70 Mädchen stürzen. Auf 12 Friseurlehrstellen kamen 100 Mädels mit der Absicht die Friseurscheren zu wetzen. Bergmann, also Facharbeiter für Bergbautechnologie wollten so 8 Schüler werden , aber 70 Lehrstellen waren vakant. 

Wo man hinsah, gab es Diskrepanzen und es gab in diesen Zusammenhängen ein mehr oder weniger großes Durcheinander. Bis 1970 war das Feld der Berufsberatung, bei den Räten der Kreise bei der Abteilung Berufsbildung angesiedelt, wo je jach Pfiffigkeit der jeweiligen Behörde, mal mehr oder weniger planvoll Berufsberatung organisiert wurde. Ab 1970  wurde mit der "Verordnung vom 15. April 1970 über die Berufsberatung" Schritt für Schritt System in den Berufsberatungsprozeß gebracht.

Im gewissen Sinne gab es 1975 die fast gleichen Probleme wie heute. Einer bestimmten Anzahl von Lehrstellen stehen eine größere Anzahl von Interessenten gegenüber. Es gibt mehr Deckel als Töpfe. Aber von den heutigen Deckelüberhang will ich nicht schreiben, da mich das nicht mehr tangiert. Nur soviel, gegen die heutigen Probleme im Zusammenhang Lehrstellen-Lehrstellenbewerber war meine damalige Tätigkeit um vieles leichter, problemloser und wahrscheinlich auch spannender. 
 

Als ich 15 Jahre vorher eine Lehrstelle fand, war meine Situation die, dass ich von Seiten der Schule, der Gesellschaft, also dem Staat keinerlei Berufsberatungsunterstützung bekommen hatte. Doch halt, etwas gab es doch. Ab der 8. Klasse hatte ich Polytechnischen Unterricht, (UTP), also Unterricht in der Produktion, wo man einen kleinen Einbick in die Realitäten des Berufsalltages bekam. Ich hatte UTP im Pressenwerk Bad Salzungen und konnte mir dort ansehen, was ein Dreher, Schlosser, Gießer, Tischler, Lohnbuchhalter so den lieben langen Tag lang macht. Das war sogar interessanter, als in der Theo-Neubauer-Schule in der Schulbank still zu sitzen und diese Einblicke haben mir gefallen.

Mein Berufswunsch war aber damals Rundfunkreporter, weil der Bruder meiner Mutter, also mein Onkel Rundfunksprecher und Reporter bei Radio Budapest war. Der ist im ganzen Land herumgekutscht und hatte eine attraktive interessante Arbeit. Das fand ich toll, wie andere es toll fanden, Feuerwehrmann oder Lokomotivführer zu werden. Dann wußte ich noch, was ich nicht werden wollte. Ich wollte nicht Maler werden, das war mir zu dumm. Maurer wollte ich nicht werden, das war mir zu dreckig. Spediteur, wie mein Vater wollte ich auch nicht werden, das war mir körperlich zu schwer. In den Schacht, also in´s Bergwerk wo es damals die meissten Lehrstellen gab, wollte ich nicht, weil viele Väter meiner Freunde Bergmann waren und wenig angenehmes von dieser Tätigkeit berichteten. Dunkel, gefährlich körperlich schwer wußte ich. 

Mein Vater wollte, daß ich Feinmechaniker bei einem Freund meines Vaters lernen sollte.  Sehr begeistert war ich gerade nicht, Schreibmaschinen zu reparieren - Rundfunkmechaniker wäre da schon mal besser gewesen. Nur für eine Rundfunkmechanikerlehrstelle hatte mein Vater keine Beziehungen und ohne Beziehungen eine genehme Lehrstelle finden, das ging eben nicht leicht. Auch damals schon. 

Mein Berufsweg war eigentlich in diesem Sinne beziehungsmäßig vorgezeichnet und so habe ich mir keine weiteren Gedanken Mitte der 8. Klasse gemacht. Rundfunkreporter war Spinnerei, merkte ich schnell. Dazu brauchte man das Abitur und ich war ein Schüler der nur Vieren und Fünfen damals hatte. Noch nicht einmal für die Neunte und Zehnte Klasse war ich geeignet.

Es traten dann aber Ereignisse ein, welche meine Berufswunschgedanken völlig neu mischten. Zum einen gab es eine Katastrophe. Der Freund meines Vaters, der Feinmechamikermeister starb plötzlich. Gleichzeitig wurde bekannt, daß ich diesen Beruf nicht woanders lernen konnte, da als Voraussetzung, der Abschluß der 10 Klasse vorausgesetzt wurde.

Nun war guter Rat teuer. Mit meinem Zeugnis blieb lediglich nur noch das übrig, was ich nicht werden wollte. Maler, Maurer oder Bergmann. Mein Vater schimpfte mit mir, dass ich mir das mit meinen "Glanzeugnissen" selber eingebrockt hätte und damit war die Diskussion erledigt. "Du wirst Mauerer, basta!" war seine Festslegung und ich hatte mich entsprechend zu fügen.

Inzwischen war mein Vater Chef der Fräserei im Hartmetallwerk Immelborn und er hätte mir mit diesen Beziehungen locker eine Lehrstelle in der Metallverarbeitung besorgen können. Da aber Vater dachte, daß er sich mit mir nur schämen müßte, hat er keinerlei Anstrengungen in dieser Richtung unternommen. Er hatte diese Position auch erst seit einigen Monaten und er wollte diesen Job nicht mit einem Früchtchen, seinem dusseligen Sohn gefährden.

1960 am 1. September finde ich mich wieder als Dreherlehrling im VEB Pressenwerk Bad Salzungen. Ich hatte  grosses Glück gehabt. Mit meinem absolut miesen Zeugnis der achten Klasse hätte ich normalerweise diese Lehrstelle nicht bekommen. Aber es war damals normalerweise keine normale Zeit. Die Grenze, besonders nach Westberlin war noch offen und es gab nicht wenige Salzunger Familien, die ohne Sack und Pack in den den englischen, amerikanischen oder französischen Sektor mit der S-Bahn fuhren und sich als Flüchtlinge bei den Berliner Behörden meldeten. Und so verduftete eben damals eine Salzunger Familie mit einem Sohn, der schon eine Lehrstelle als Dreher in der Tasche hatte ab nach Westberlin. Meine Eltern bekamen davon Wind und lieferten mich als Ersatzlehrling bei meinen zukünftigen skeptisch dreinblickenden Lehrmeister Lieber ab. Ohne es zu ahnen, war ich in einen Job gerutscht, der damals auf mich passte wie der Deckel auf einen Topf. Man musste gut kucken können. Ansonsten arbeitete man nicht körperlich sehr anstrengend wie in manchen anderen von mir mißachtenden Lehrberufen als Bauarbeiter oder als Maler. Die Drehmaschine arbeitete und man musste nur flink neue Werkstücke in die Maschine einspannen. Das technische Verständnis hatte ich irgendwie und nur das Stehen den lieben langen Tag an der Maschine fiel mir ein wenig schwer. 

Das waren meine ersten Erfahrungen mit dem Thema Berufswahl, die mich schon damals zu ersten Erkenntnissen brachten, das es furchtbar viele Tätigkeiten gibt, von denen man einfach nichts weis, ein falches Bild von der Tätigkeit hat, es falsch sozial einordnete und wichtig war auch, dass sich die Bedingungen sehr schnell wechseln können. Es gab aber auch die Erkenntnis, dass sich im Laufe der eigenen Entwicklung Interessen, Neigungen und Voraussetzungen blitzschnell und auch langsam fließend ändern können.

Ich war damals schon in den ersten Wochen als Berufsberater aus eigenem Erleben einer fünfzehnjährigen Berufsentwicklung der noch schwammigen Auffassung, dass der zuerst erlernte Beruf lediglich ein erster Start in die Berufswelt ist und die Passung der speziellen Tätigkeit auf die eigene Persönlichkeit innerhalb der Lebensziele ein langer, langer Entwicklungsprozeß ist, den man selber teilweise bewußt beeinflussen kann. Obwohl, damals sah es noch einfach betrachtet statischer aus. Man lernte einen Beruf und übte diesen sein Leben lang aus. 
 
 

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Ich packte erst einmal meine Semmeln zum Frühstück aus, nachdem ich meine eigene Position und obige Erfahrungen meinen Chef Dieter Durner präsentierte. Er dachte ähnlich wie ich und in der Frühstückspause redeten wir eigentlich das gleiche wie vor der Frühstückspause. Uns beiden war klar, dass wir auf Grund unserer Berufs- und Lebenserfahrung schon ganz ausgebuffte Berufsberater sind und das bissel noch notwendige Fachwissen mit Links und vierzig Fieber uns blitzschnell aneignen werden.
 

Gegen Mittag frage ich meinen Chef Dieter Durner "Was macht man nun mit dem Rest der 330 Interessenten Fahrzeugschlosser?" Dieter, mit dem ich inzwischen schon auf "Du" war, entgegenete "Denen müssen wir das alles ausreden, das ist unsere künftige Arbeit!"
 

.....
Na, da gab es noch den Beruf des Landmaschinenschlossers (20) Fahrzeugschlosser bei der Deutschen Reichsbahn, 
 
 
 

© rhebs 2002

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