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Umständliche Besitzstände

Eigentlich hätte ich es wissem müssen. Für die erfolgreiche Partizipation am Mehrwert und am Besitz bin ich nicht geeignet. Schon als ich in der fünften Klasse mein Taschenmesser gegen eine Taschenlampe tauschte. Mit dem Entschwinden des Messers, welches mir einen gewissen Warenwert an künstlichen Licht bescheren sollte, ergab sich die Tatsache: Ich hab nichts mehr zum schneiden, aber ich hab auch kein künstliches Licht, welches ich allabendlich künftig zum Lesen unter der Bettdecke benötigt hätte. Die Taschenlampe funktionierte nicht. 

Als ich dieses Tauschhandelsgeschäft, welches absolut ungünstig für mich ausging rückgängig machen wollte, wegen nicht vorhandenem Tauschwert, war die Reaktion meines Geschäftspartners "Getauscht ist getauscht - wiederholen ist gestohlen!"

Mit dieser Erfahrung reicher tauschte ich die Taschenlampe gegen einen Fahradsattel. Ich hätte es wissen müssen - am anderen Tag war der Fahradsattel geklaut und die Taschenlampe flog im hohen Bogen am gleichen Tag in meinen Garten.

Ein Jahr später gelangte ich durch einen glücklichen Umstand in den Besitz von einem Zentner Kaugummi. In meiner Stadt war ich 1958 mit diesem Kaugummissegen absoluter Monopolist und gedachte dies zu meinem Vorteil aus zu nutzen. Das klappt Anfangs auch ganz gut. So wie in meiner rechten Hosentasche die Menge der Kaugummistücke abnahmen, erhöhte sich proportional in meiner linken Hosentasche die Menge von Kupferfünfzigpfennigstücken.

Mit den  Fünfzigpfennigsegen konnt ich aber nichts gescheites anfangen. Eine Taschenlampe benötigte ich zum Lesen nicht mehr. Ich hatt mich gegen meine Familie durchgesetzt und benutzte eine Nachttischlampe. 

Also, was machte ich. Ich erkaufte mir mit den vielen Kilos raren Kaugummis Freundschaften. Ich hatte flugs viele Freunde. Freunde so viele wie Kaugummi. Und es wurden immer mehr. Mit dem großen Freundeskreis nahm natürlich schnell die Menge meines Kaugummivorrates ab. Nach zwei Wochen war mein Vorrat erschöpft. Die vielen Freunde verbündeten sich zu einer Streitmacht gegen mich und boten mir erst einmal Dresche an. Ich solle weiter kiloweise Kaugummi umsonst rausrücken. Mein Haus wurde regelrecht von den Freunden belagert und ich traute mich nicht in die Schule.

Irgendwann bin ich doch wieder in die Schule gegangen und in der Jungentoilette fielen meine vielen Freunde über mich her. Ich wurde grün und blau geschlagen und die paar Fünfzigpfennigstücke, die noch in meiner Hosentasche klimperten, wurden mir weg genommen. Zum Abschluß pinkelte man mir die Hosenbeine voll und ich mußte nach Hause, mich umziehen.

Eigentlich hätte ich es wissen müssen. In den vielen Büchern, die ich damals las, ging es um den Vorteil und dem Nachteil von Besitz. Der, der was hat, muß in der Lage sein, seinen Besitz zu verteidigen. Den Satz "Teile und herrsche" hatt ich wohl mal gelesen, aber nicht begriffen.

Der einzige Freund, den ich damals hatte, den ich nicht mit Kaugummis bestechen brauchte, zog in eine andere Stadt. Zum Glück kam ich dann in ein Alter, wo man nun unbedingt Freunde nicht mehr so dringend braucht, wenn man auch Freundinnen haben konnte.

Als ich 15 Jahre wurde, das war 1961 gab es wieder einen Glücksumstand. Mein Großvater hatte sich ein Moped, ein SR2 gekauft und konnte es plötzlich aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr fahren. So wurde ich glücklicher Besitzer eines Mopeds. Das hatte dann das Ergebnis, dass mir die vielen ehemaligen Freunde am Straßenrand mit der Faust drohten und nicht wenige male mit Steinchen nach mir warfen. Kein Wunder, viele von denen hatten nicht mal ein Fahrrad. Ein richtiges massives Haßpotential baute sich gegen mich  in der Kleinstadt bei den Gleichaltrigen auf.

Was tat ich, ich lenkte mein schönes Moped nicht mehr in die kleine Stadt, sondern fuhr grundsätzlich, wenn ich unser Grundstück mit dem Moped verlies eine Rechtskurve, aus der Stadt heraus und fuhr auf die Dörfer, um die Stadt. Freundinnen suchen und finden.

Einmal fuhr ich im Auftrag meines Opas nach Barchfeld, um Hühnerfutter zu kaufen. Beim Bauer in Barchfeld stand ein Pferd seit einem Jahr im Stall und dieses Pferd war verrückt. "Kopfscheu", sagte der Bauer. Das Pferd kommt in die Wurst! Pferdemetzger Birnschein hat soundsoviel Mark für den Gaul schon geboten. Ich plünderte mein Sparbuch und wenige Tage später stand für einige Mark mehr der verrückte Gaul in Opas Stall am Flösrasen.

Jetzt hatte ich ein Moped, ein Pferd und eine Freundin. Dass das Pferd ein wenig verrückt war, war nicht so schlimm. Nach 4 Wochen Pferd striegeln, streicheln, füttern und reden, kam der Tag, wo ich mich das erste mal auf Oleg setzen konnte. Oleg war mir gegenüber lammfromm. Wenn aber ein Fremder Oleg vorne zu nahe kam, dann stieg Oleg hoch und wieherte und strampelte mit den Vorderhänden. Oleg sich von hinten zu nähern, war lebensgefährlich. Oleg schmiß, wie man so sagte.

Freilich hatte es sich schnell herum gesprochen, "Der Hebi, die alte Sau hat jetzt auch einen Gaul"! Wenn ich darauf von ehemaligen "Freunden" angesprochen wurde, wiegelte ich ab. "Das Pferd gehört meinem Großvater". Trotzdem lies ich es mir aber nicht nehmen gerade am Sonnabend so gegen halb acht mit dem Pferd am Kino, wo die ganze Bande sich versammelt hatte vorbei zu reiten. Und das manchmal mehrmals. Einmal im Schritttempo, einmal im Trab und auch mal im Galopp. Als ich dann noch nach Langenfeld mit dem Pferd zum Tanz ritt und vor der Kneipe das Pferd festband, war das Maß voll.

Nach diesen Ausritten sagte mein Opa, der Gaul muß weg. Im Futterhafer von Oleg fand Großvater Rattengift. Oleg rührte zum Glück das Zeug nicht an. Oleg wurde verkauft und ich hatte aber noch mein Moped und eine Freundin. Der Gaul wurde an einen Bauern in Breitungen verkauft. Der hatte in einer Scheune ein altes Aluminium-Motorbot mit einem kaputten Außenbordmotor. Nach wenigen Tagen funktionierte der Außenbordmotor wieder. Die Kerze war verdreckt und der Zündverteiler hatte ein bissel gewackelt. 

"Der Hebi, der Angeber hat jetzt auch einen Motorboot!" war darauf die Reaktion und fast immer, wenn ich auf der Werra mit dem Boot herumschnurren wollte, mußte ich eine halbe Stunde Wasser aus dem Bot schöpfen. Man hatte in schöner Regelmäßigkeit das Boot ersäufen wollen. Da es aber Schwimmkammern hatte, klappte das nicht komplett. Dann kam eine Anzeige von der Polizei, in der stand, das nur Mitglieder des Anglerverbandes die Werra mit Booten befahren dürfen und das auch nur mit Ruderbooten. Das Boot wurde beschlagnahmt und künftig fuhr der Sohn vom Vorsitzenden des Anglerverbandes stolz mit dem Boot auf der Werra herum.

Ich habe mich dann in der kleinen Stadt kaum noch sehen lassen. Meine Freundin von außerhalb haute ab und auch ich haute für viele Jahre aus der kleinen Stadt ab.

© rhebs 2002

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