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Dietze Hans

Dietze Hans wohnte mit seiner Familie bis 1957 in der Willi-Steitz-Straße neben dem ehemaligem Arbeitsamt in einem kleinem Barackenanwesen. Seine "Auffälligkeiten" wurden ihn und seiner Familie zum Verhängnis, als man Ihn Ende der fünfziger Jahre in einen LKW stopfte und nach Mecklenburg regelrecht deportierte. Dietze Hans war ein Kleinstadtbauer, der es fertig brachte ohne eigenen Acker und Wiesen  einen kompletten "Bauernhof" zu bewirtschaften. Das war für ihn eigentlich ganz einfach - man mußte halt nur drauf kommen. Und Dietze Hans  kam drauf. Um seine vielzähligen Schweine, Hühner,  Gänse, Schafe und Ziegen, welche auf seinem kleinen Grundstück bis auf die Hasen durcheinander liefen, satt zu bekommen, baute er sich eine riesige Brutanlage mit der er die Baueren der Region mit Geflügelkücken aller Rassen versorgte. Die ausgebrüteten Kücken tauschte er oft  wieder gegen Futtermittel und bekam damit seine Viecher fett und rund. Dietze Hans war ebenfalls bei den Bauern der Region ein oftmals in letzter Minute geholter Nottierarzt und manches Pferd, welches schon in den letzten Zügen mit einer gewaltigen Kolik flach auf der Weide lag, wurde von ihm mit einem Nadelstich in den Bauch gerettet und seltsame Salben halfen bei Verwundungen aller Art.

Als die Aktionen begannen, die Bauern in die LPG´s zu pressen, hatte man Dietze Hans Anfangs übersehen, weil er in den Augen der "Genossen", welche für die Kollektivierung zuständig waren,  kein richtiger Bauer war. Dabei war die Familie Dietze in Bezug auf die landwirtschaftliche Produktion gesehen  völlig autark, das heißt die machten bis zum Pullover und hölzernen Suppenlöffel alles selber. Aber sie sahen halt seltsam aus die Dietzes, weil zum Beispiel die Mutter Dietze der Meinung war, an einer selbstgestrickten Strickjacke reichen auch zwei große Mantelknöpfe. Die Kinder hatten Schuhe an, welche 2 Nummern größer waren, als normal - dafür waren die Schuhe innen mit Schaffell ausgepolstert. Ebenfalls aus Schaffell waren die Jacken und wenn die Dietzes komplett in der Stadt auftauchten, sah es aus, als wenn eine beskidische Räuberbande in Bad Salzungen zu Besuch war.  Die Klamotten, welche mit stabilem Sternchenzwirn an einer Schusternähmaschine zusammengenäht wurden,  waren nachempfundenes  Mittelalter-Design.

Während noch in vielen Haushalten in Bad Salzungen in der Nachkriegszeit Schmalhans Küchenmeister war, und die Schmalhänse aber mit ordentlichen Bügelfalten herumliefen, knabberten die Dietzes mit  totaler Selbstverständlichkeit auch in der Woche mehrmals ihren Sonntagsbraten und aßen selbstgebackenes Brot mit vielen Wurstsorten, welche garantiert nicht vom Metzger waren. Die Schweine schlachtete und verarbeitete Hans komplett selber. Um der totalen Ablieferung der Mastschweine zu entgehen, lebten Dietzes Schweine im Schichtsystem im Keller einer alten Baracke. Wenn die 6 - 8 Tagschichtschweine auf dem Hof herumliefen, verschwanden 6 - 8 Nachtschichtschweine im Keller. Am anderen Tag war dann Schichtwechsel. Mit diesem Dietze Hans - Organisationsergebnis kam man dann prima bedarfsdeckend über das Jahr.

Da die kostbareren Zucht-Hühner auch mal im Winter mit in der Küche saßen, roch es nicht sehr angenehm bei Dietzes, zumal Knoblauch in großen Mengen ein Hauptgewürz war. In der Schule saßen die Dietzes auch meißtens auf einer Etxra-Bank und "Du bist auch ein Dietze" wurde unter den Kindern zum Schimpfwort. Wenn zum Schulfrühstück  die Klassenkameraden ihre mageren Marmeladenbrote verzehrten, speiste aber ein Dietze pannierte knoblauchgewürzte Hähnchenschenkel oder fetten Schafskäse. Die dürren Suppen der Schulspeisung wurde von ihnen verschmäht - Dietzes Kinder schlapperten lieber bei der Mutter Rahm- Gulaschsüppchen. In der Schule mußte Dietze Hans mehrfach antanzen, weil die Lehrer den Dietze-Kindern riesige französiche Klapptaschenmesser wegnahmen. Dabei hatte damals jeder Junge ein Taschenmesser einstecken - aber es gehörte sich nun mal nicht, daß es Taschenmesser gibt, welche doppelt so groß und auch noch schärfer waren. 

Ihre andere Lebensweise wurde langsam insgesamt zum Eklat und als eines Tages ein kleiner Dietze aus dem Barackenfenster  auf dem Hof fiel, biß ihn ein  frei herumlaufendes Schwein ein Stück Ohr ab. Nun hatte man endlich einen Vorwand, um die Dietzes wegen "asozialem Verhalten" aus der Stadt zu entfernen. Schade, daß es keine Konzentrationslager mehr gibt, sagten sich die "Genossen" - aber wir haben ja das weite Mecklenburg, welches immer auf den Staatsgütern neue Arbeitskräfte benötigt. Da karrte man die Familie Dietze eines Tages hin und  hatte in Bad Salzungen ein Problem weniger, wie man meinte. Freunde von Dietze Hans haben dann die Brutanlage demontiert und stückchenweise nach Mecklenburg geschickt, wo man ebenso dringend neue Kücken benötigte. Dort auf einem abgelegenen Gehöft ließ man sie in Ruhe nach ihrer Fasson leben.

 

. richard hebstreit 
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