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Die Fresser

Werner Hartmann brachte mich mal auf  Idee. Wir fressen uns bei Bauernomas in der Rhön durch und sammeln dann überlieferte historische Rezepte. Die Rezepte veröffentlichen wir und werden reich. Geboren wurde diese Aktion an einem Nachmittag in Bad Dürrenberg in Sachsen Anhalt. Ich hatte in der Kaufhalle ein Hühnchen besorgt und in der Bratröhre nach Kochbuchrezept gebrutzelt. Das Vieh wurde und wurde nicht zart und Werner zerrte mit seinen Zähnen an der zähen Hähnchenkeule herum. "Mensch - wie kannst Du mir sowas antun - wenn ich schon mal da bin!"

"Weist Du wir sammeln mal Rezepte, die was taugen. Bei dieser Gelegenheit bringen wir die alten Leutchen auf die Sachen , die sie noch auf dem Dachboden und im Keller haben und machen dabei noch gute Antiquitätenschnäppchen!" 

Einige Tage später war Werner in der Redaktion unserers Regionalblattes in Thüringen und knallte dem verdutzten Redakteur den Artikel, den wir beide zusammengestoppelt hatten auf den Tisch. Der wurde erst einmal blau vor Neid, dass er nicht selber auf die Idee gekommen ist und wollte unter seinen Namen den Artikel veröffentlichen und sich durch die Rhöner Bauernküchen fressen. "Ihr könnt ja mitkommen!"

"Die Drecksau", kommentierte Werner am gleichen Abend dieses Ergebnis und äußerte, daß er niemals wieder einem Redakteur eine gute Idee ohne Zeugen auf den Tisch legt. Wir haben dann die Kuh doch noch vom Eis bekommen, weil ich eine Journalistin kannte, welche den Redakteur nicht ausstehen konnte. Wir schlichen  nach einem Telefongespräch in die Nachtedaktion kurz vor dem Umbruch und haben denen die weissen Stellen voll gemacht. Eine Anzeige für 35 Mark und siebzig Pfennige und ein redaktioneller Beitrag mit unseren Bildern.

Ergebnis unserer Aktion waren 17 Zuschriften zu 80 Prozent aus der Rhön, der Rest war aus dem Werratal.

Zwei Wochen nach wildem Briefwechsel später zogen wir los. Nach Diedorf in der Rhön zum ersten Mampf. Ilse D. hieß die gute Frau. Ilse hatte komplett 85 Jahre auf dem Buckel und hatte vor Jahren das letzte mal für irgend jemand aus ihrer Verwandschaft gekocht. Diese, für die sie gekocht hatte, waren verstorben oder unhabhaft weg gezogen. Mit Freundinnen hat sie höchstens mal gemeinsam einen selbstgebackenen Kuchen gespachtelt. So ein richtiges Freßmenue hat sie schon lange Jahre nicht mehr gekocht. Unsere Idee aus der Zeitung fände sie prima. Dabei sei Kochen ihre Leidenschaft schon immer gewesen. Es hätte nur lange schon niemand mehr geschätzt. 

Nun hörten wir uns, noch verdattert den Blumenstrauß in der Hand, die Latte ihrer Bekochten an. Die von Buttlars aus Buttlar, Dr. Stapf in Dermbach - ....der ließ sie immer zum Geburtstag noch nach dem Krieg mit dem Auto abholen. Und fast unwahrscheinlich....Ernest Hemmingway! Wie wo was? Was macht Hemmigway in einem Kuhkaff wie Diedorf. "Na in Diedorf wäre das nicht gewesen". "Was denn Frau D.? Waren Sie in Kuba?" Nee eu Junge" sagt sie. Werner fragt noch mal ganz langsam nach "Was denne, wo denne haben sie für Hemmingway gekocht? "Na, in Dermbach, im Sächsischem Hof!" sagt sie ganz lustig. "Stimmt" sag ich zu Werner, "der .....war dort - Ein Foto von ihm hängt da!" " Hemmigwaay hat sich zum Forellen angeln dort hin verirrt und hat im "Sächsischem Hof" residiert.

Werner schluckt, "Was gibt es Frau D.?" Frau D. zieht ein wichtiges Gesicht auf. "Das wird noch nicht verraten", wir sollen erst einmal unsere Sachen ablegen und uns im Wohnzimmer hinsetzen. Wie selbstverständlich nimmt sie uns unsereangekündigten zwei fünfzig Markscheine ab und drängelt uns nach einen bla bla bla woher-wohin Gespräch in eine klitzekleine Wohnstube. Der Tisch ist festlich gedeckt und als Frau D. aus dem Wohnzimmer in die Küche verschwindet, linst Werner gekonnt unter die Teller. "Hutschenreuther - Mitte der Dreißiger" sagt Werner und verzieht sein Gesicht. Ich sag besänftigend "Na denkste hier futterst du von Meißner Tellern oder KPM?" Unsere Augen streifen im Rum herum und können nichts weltbewegendes feststellen. Nippes, Familienfotos, die meissten wahrscheinlich von ihrem Mann. Ein alter Farbfernseher, Kunstblumen, ein Schrank  voll mit wertlosen Sammeltassen und dicken Kristallschalen - also wie bei vielen alten Frauen ihrer Generation hier in dieser ehemaligen sauarmen Ecke Deutschlands.

In der Küche klappert und scheppert es und irgendwie werden unsere Nasen in einen seltsamen Schnupperzustand versetzt. Es fängt an zu riechen, was heißt "riechen" es fängt an zu "DUFTEN"....irgend nach etwas Gebrutzelten. Werner raunt mir leise zu "Rouladen sind das nicht!" Wir warten und lassen weiter solche lockeren Sprüche los. Aber es ist schon spannend und gegenseitig beglückwünschen wir uns für unsere Freßidee.

Mit Schwung rauscht auf einmal Frau D. mit einer mittelgroßen Suppenterrine in das kleine Zimmer und stellt behutsam die Terrinne auf den weiß gedeckten Tisch ab. Sie hat jetzt eine große weiße Schürze an und ihre Gesicht ist feuererot vor lauter eigener innerer Begeisterung.

Wir machen uns denn Spaß und stehen wie in einem amerikanischen Film, wenn eine Dame am Tisch erscheint erwartungsvoll auf und machen wichtige Gesichter.

Frau D. lüftet den Deckel der Terrinne und tönt mit zittriger bedeutsamer Stimme.  "Weinbergschneckensuppe mit Johnny Walker Likööööör!".

Werner sieht mich mit rätselhaften Augen an. Ich gucke auch ganz konsterniert. Frau D. schöpft uns die Suppe mit kribbeligem Zeug auf die Teller und verschwindet blitzschnell in ihre Küche und kehrt mit einer Flasche zurück. "Johnny Walker Likör" spricht sie noch einmal inbrünstig. "Von Johnny Walker persönlich!" und stellt eine fast leere uralte Whiskyflasche behutsam auf den Tisch neben die Terrinne. Erst jetzt fängt sie an sich selber den Teller zu füllen und murmelt irgendetwas vor sich hin, was wir nicht verstehen können. Dann sagt sie es noch einmal deutlich: "Die Flasche habe ich in Dermbach von Johnny Walker für die gebackene Forelle bekommen". "Dem Walter Ulbricht hat die Suppe auch geschmeckt!" 

Unsere Augen werden groß wie die Suppenteller und können die Löffel kaum vor staunen in unseren Mund führen. Frau Dees Augen glitzern und leuchten vor Begeisterung und mit den ersten Löffeln Suppe, die sie sich in den Mund schaufelt, bekommen wir mit, daß Ulbricht, Adolf Hennecke und der Bischof von Fulda diese Suppe auch schon geschlappert hat. Stalin in Karlshorst, Hennecke in Riesa und der Bischof von Fulda hätte hier aus der gleichen Suppenschüssel diese Suppe gegessen. Mit vollen Mund grapscht sie hinter sich auf die Anrichte und knallt ein Bild von einem Menschen im Bischofsornat auf dem Tisch, wo unten drunter in deutlicher Schrift steht "EinSegen der göttlichen Köchin - In Dankbarkeit, Ambrosius Walch, Diedorf  i.J.d.H 1958."

Wir sitzen da und löffeln unsere Suppe, die wirklich ganz gut schmeckt, nach Huhn, nach Whisky und nach Nudeln. Die zerbröselten Schnecken schmecken wie "nach weis wer was..." wir haben noch nie Schnecken in Suppe gegessen. Eigentlich wird mir schlecht, wenn ich nur an Schnecken denke. Werner sagt das dann auch, als Ilse in der Küche war."Mensch guuuuuck ma - Schneeeeecken!"

"Naaaaaaaaa, wie schmeckt die Suppe?" Werner und ich überbieten uns gegenseitig mit Komplimenten und verdrehen genüßlich die Augen. Es kann schon sein, das nach dieser mit weiteren Detaills geschmückten Offenbarung uns die Suppe mit jedem Löffel besser und besser geschmeckt hat. Schnell haben wir den Teller leer gelöffelt und die gute Ilse verschwindet mit tapsigen wackeligen Schritten wieder in der Küche. Eigentlich sind wir schon satt. 

Wir blätterne in Ilses umfangreichen schriftlichen Unterlagen in einem fettigem abgegriffenem Schnellheft zu dieser Suppe herum und Werner läßt auf einmal den Kommentar los "Paß auf, wenn das Hauptgericht kommt, hat das schon der Liebe Gott persönlich gegessen." 

Und da kommt sie auch schon die gute Ilse mit einem riesigem Tablett auf dem mehrere Speisen tronen. "Rebhühner", jodelt Ilse "Drei Rebhühner!", "für jeden eins - mit  Trüffelsoße, Kapuziner Kresse und dazu gibt es noch rohe Kartoffelbällchen, Safransoße und kandierte Preiselbeeren in Madeiragelee."
Unsere Augen werden wieder tellergroß. Und es war dann auch der Hammer, wie man damals sagte. Die Rebhühner waren knusprig, zart und saftig zugleich. Die Soßen würzig und die Kartoffelbällchen, kleine Thüringer Klöße, die beim Zerteilen mit der Gabel vorschriftsmäßig knisterten, waren eine totale Gurmet - Wucht. Wir stopften uns die Bäuche voll, rühmten mit vollem Mund die Kochkünste von Ilse über den grünen Klee und soffen genüßlich süßen Hagebuttenwein, den Ilse in kitschigen Kristallgläsern kredenzte.

Werner wollte dann wissen, wo Ilse die Rebhühner her hat. Na vom Jagdkollektivlager hinter dem Haus. Da ist eine Sammelstelle, wo die Jäger des Jagdreviers ihr Wild abliefern müssen. "Nach der Vorspeise gib´s Rehrücken oder Hirschgulasch!" "Ihr könnt es euch aussuchen" sagt Ilse beim Abknabbern eines Rebhuhnbeines. "Kommt mal her", sagt Ilse, steht auf und winkt uns ans Fenster. Werner war zuerst am Fenster und ruft "schnell, schnell - du verpaßt was!" ich stehe auf und sehe wie jemand ein Wildschwein an einen Haken in einem Gestell hängt und mit soetwas wie eine Kranlaufkatze die Sau in einen schäbigen Schuppen schiebt.

Wieder am Tisch - ich bin schon dicksatt von dem Rebhuhn, kommt Ilse wieder mit einem Tablett in das Zimmer gewankt. Portionen für mindestens fünf Leute hat sie darauf plaziert. Den angekündigten Rehrücken, den Gulasch und noch was, was noch nicht erwähnt wurde. Naaaaaa, fragt Ilse, was ist das? Wir können nur fragend gucken und schütteln ungläubig den Kopf. "Hühnergulasch" sagt auf einmal Werner. Ilse macht ein empörtes Gesicht und spricht zu Werner:  "Sehen Sie das denn nicht? Seht ihr das denn nicht!" Froschschenkel! Froschschenkel sind das! Sieben Stück - eins habe ich schon mal vorgekostet - köstlich - ganz köööstlich! Hier im Dorf kann sotwas niemand schätzen - ich weis das zu schätzen - ich und mein Mann wir kannten uns da aus - für viele bedeutende Leute haben wir gekocht - aber wer will das heute schon wissen - es ist lange her - diese Zeit wo gutes Essen noch was galt - heute essen alle Bockwurst oder Roulladen und denken das ist was besonderes - " Und so in diesem Kontext liefen die Erklärungen und Erläuterungen weiter wärend wir in dem Menue herum stocherten - wir waren schon satt vom zweiten Gang. Dicksatt.

Werner sagte mir dann, nachdem wir Ilses Haus verließen......halt ja  die Fresse! halt ja die Fresse....da gehen wir wieder hin zur Ilse....das nächste mal mit absolut leerem Mage!

Die Pointe ist schnell erzählt. Ilses Mann war vor dem Krieg Koch bei sogenannten gutsituierten Leuten und überhaupt in vielen besseren Häusern überall in Deutschland. Im Adlon, in den 4 Jahreszeiten und, und, und. Zum Kriegsende wurden sie in Berlin ausgebombt wie sie sagte und landete in der Rhön in einer LPG Betriebskantine, weil Ilses mann ein kleines Häuschen aus einer Erbschaft in Diedorf gehörte. Wir haben dann die anderen Inserate nicht mehr beachtet, da eine Steigerung wahrscheinlich nicht mehr möglich gewesen wäre. 

Uns zig Varianten von Roulladen und Braten Halb Rind halb Schwein, wie angekündigt rein zu ziehen hatten wir keine Lust. Aber immer, wenn wir mal in einer Salzunger Kneipe beim Bier hockten und simplen Kartoffelsalat und Bockwurst mißgelaunt in uns rein stopften, stieß mich Werner in die Rippen "Weist Du noch, die Ilse, die Schnecken, der Rehrücken, der Hirschgulasch, .....die Froschschenkel.......!" Ilse ist schon lange tot und wir haben sie einfach nach den Rezepten zu fragen vergessen. Das Rezept für die Weinbergschnecken ist aus dem Internet .

Zutaten für die Weinbergschneckensuppe: 

1/2 l Hühnerbrühe, 1 zerdrückte Knoblauchzehe,1/4 l trockener Weißwein, 1 Zwiebel,1/2 Lorbeerblatt, 24  Schnecken, 100 g junge Karotten, 1 Stange Lauch, 50 g Sellerie, 1/2 TL Basilikum,1/4 l süße Sahne, 3 Eigelb, Salz, Zucker, Petersilie. 

Zubereitung: 

Brühe und Weisswein mit der kleingeschnittenen Zwiebel, dem Lorbeerblatt und den Knoblau 10 Minuten kochen lassen und durch ein Sieb giessen. Das Gemüse in sehr kleine Streifen schneiden, mit dem Basilikum und den kleingehackten Schnecken in der hoffentlich aufgefangenen Brühe 20 Minuten leicht kochen lassen. Sahne mit Eigelb verquirlen, in die Suppe geben, warm werden lassen (nicht aufkochen!!), abschmecken und mit gehackter Petersilie servieren.  Schnecken werden in Spezialpfannen normalerweise mit dem Schneckenbesteck serviert. Dabei nimmt man das Gehäuse mit der Schneckenzange aus der Pfanne, nimmt mit der zweizinkigen Gabel das Fleisch aus dem Gehäuse, isst es direkt von der Gabel oder legt es zunächst auf den Löffel, um die Schnecke mit der heissen, flüssigen Butter aus dem Gehäuse zu übergiessen. So klein diese Tiere auch sind, so langwierig und umständliche ist ihre Zubereitung. Die Schnecken - es kommen überhaupt nur die sogenannten Weinbergschnecken in Frage - müssen, darauf soll man bei Einkauf achten, immer gut mit einer kalkartigen Masse verschlossen sein. Wir waschen sie zuerst tüchtig mit einer kleinen Bürste in gut gesalzenem Wasser. Darnach kochen wie sie zirka 5 Minuten lang, damit sich der kalkartige Deckel löst, den wir dann mit einer Spicknadel abheben, wonach man die Schnecke zieht. Alles Schwarze, das wir an den Schnecken sehen, entfernen wir mit der Messerspitze, ebenso wie den Kopf, den Schwanz, das kleine Steinchen und den Schleim. Nun waschen wir nochmals gut durch und lassen die Schnecken (wir rechnen 8 – 10 Stück pro Person) mit Wasser oder Suppe, leicht gesalzen und damit gerade gut bedeckt mit etwas geschnittenem Wurzelwerk, etwas Zwiebel, Thymian und Salbei langsam zirka 4-5 Stunden lang kochen. Wir müssen aber trachten, dass immer gleich viel Flüssigkeit darauf ist. Aus der Suppe genommen, mit Zitronensaft und Butter beträufelt, servieren wir die gekochten Schnecken mit frischer Butter und  Weißbrotschnitten. Die Schneckhäuschen kochen wir in mit Soda versetztem Wasser tüchtig aus und  spülen sie dann gut mit kaltem Wasser ab und stellen sie zum Trocknen beiseite.
 

 

. richard hebstreit 
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