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Der Erfinder

Claus GulbaEnde 1958 fängt im Pressenwerk Bad Salzungen ein junger Maschinenbauingenieur  nach Absolvierung seines  Studiums im Konstruktionsbüro zu arbeiten an. Zu dieser Zeit wird im Pressenwerk Bad Salzungen eine seltsame Maschine entwickelt. Man stelle sich mal einen Automotor  vor, der auf dem Kopf steht und mit einer stabileren Kurbelwelle anstatt Kolben eine massive Platte bewegt. Auf dieser Platte wurden 10 einmarkstückstückgrosse Stanzmesser befestigt und wenn die Kurbelwelle anfing zu kurbeln, wurden mit jeder Umdrehung 10 einmarkstückstückgrosse Aluminiumstücke ausgestanzt. Im volkstümlichen Sprachgebrauch der damaligen DDR hiessen diese Teile Aluchips .

100 mal drehte sich diese Kurbelwelle in der Minute und 60 mal 1000 Aluchips-Markstücke, also 60 000 Mark der DDR Staatsbank kullerten in einer Stunde in kleine blaue  Blechkisten. Besser gesagt wären gekullert, wenn man das Blechband so schnell durch die Maschine jagen könnte. Seit Monaten tüftelte man nach einer Lösung und fand keine. Claus Gulba kam die technisch rettende Idee zu diesem Problem und fortan kullerten locker und präzise rund eine halbe Million Aluminium-DDR-Mark in einer Schicht in die Blechkisten. Damit fiel Claus Gulba in Bad Salzungen natürlich erst einmal positiv auf und man unterbreitete ihm den tollen Vorschlag in die SED und in die Kampfgruppe der Arbeiterklasse einzutreten. Kluge Leute konnte man in der SED gebrauchen. Claus Gulba lehnte dieses Ansinnen rigoros ab, weil er für Politik dieser Art und für Kampfgruppenübungen kein näheres Interesse hatte.  Da man in der SED Betriebsgruppe nicht einsah, dass einer, der so klug ist kein Einsehen hatte, wurde Claus Gulba verdächtig. Von da ab stand Claus Gulba  zuerst unter ständiger Beobachtung der SED in seinem Betrieb und kurz darauf zwangsläufig unter Beobachtung des Ministeriums für Staatssicherheit.

Claus Gulba begann sich in Bad Salzungen einzurichten. Er suchte sich seinen Freundeskreis in Bad Salzungen bei Bürgern, welche auch ein bisschen pfiffig waren. Zufälligerweise waren das auch unter anderem die Rundfunkmechaniker der Stadt, welche damals auf die praktische Idee kamen, die Fernsehgeräte, die vom staatlichem HO-Handel der DDR ohne Westkanal verkauft wurden, mit einer zusätzlichen klitzekleinen Pappzwirnspule mit sieben Kupferdrahtwindungen  nachträglich  auszustatten. Auch Claus nutzte diese nette nützliche Dienstleistung und stellte sich fortan mit einem Tastendruck  den Kanal 8 das Westfernsehen aus Hessen ein. Das war damals in der DDR zwar nicht gesetzlich verboten - es war aber dringendst unerwünscht. Die "Beobachter" gelangten irgendwann nach der Stellung der Gulbaschen Fernsehantenne auf dem Dach zu der Erkenntnis, wie er sein Fernsehgerät unstatthaft linienunteru verändert hatte und vermerkten, dass Claus Gulba somit unter perfidem imperialistischen Einfluss stände. Eine systemuntreue Auffälligkeit, die ebenfalls nach mehrfacher kaderleiterlicher  Aussprache in seiner Kaderakte vermerkt wurde: " Kollege Gulba bedarf in charakterlicher Hinsicht eine strenge Führung"

Claus Gulba ahnte davon Anfangs wenig, weil er seine Beurteilungen nie sah und  anderslautige nette Dubletten ausgehändigt bekam. Er begann neben seiner Erfindertätigkeit in seinem Betrieb auch noch für andere Betriebe in der Salzunger Region zu entwickeln und zu erfinden. Spezialisten für Plastespritzwerkzeuge waren damals ungemein knapp und so stapelten sich auf diesem Gebiet mit der Zeit die nutzvollen Ergebnisse und zwangsläufig nahm entsprechend nutzvoll sein Konto auf der Sparkasse andere Kontostände als allgemein bei einem normalem Ingenieur üblich an. Claus kaufte sich einen nigelnagelneuen Trabant Kombi mit seltenem Schiebedach und fiel dadurch wieder auf. Wegen dem Konto: " Er ist hinter dem Geld her" und wegen dem Schiebedach: "C. Gulba ist für den bürgerlichen Luxus aufgeschlossen". Sein damaliges Hobby - Tauchsport machte ihn weiter oberverdächtig. In seiner Freizeit fuhr Claus zum Buchensee und zur Bernshäuser Kutte und verschwand lautlos geheimnisvoll in den Fluten. Sein Tauchgerät gluckerte nicht wie normale damalige Tauchgeräte. Was die "Genossen" damals nicht gleich wussten, er hatte aus zweiter Hand ein Sauerstoffkreislaufgerät "Medinixe" erworben, welches es ganz normal in Leipzig in einem Medizinzubehörladen zu kaufen gab. Das gab es schon, das war schon erfunden. In der Provinz, in Thüringen in Bad Salzungen pubertierte seine Akte inhaltlich und umfänglich langsam zum regionalem Staatsfeind ersten Ranges an und der Zugriff auf den unermüdlich erfindenden, tauchendenden, westfernsehsehenden und Trabant fahrendem Claus wurde vorbereitet.

Der plötzliche Zugriff wurde sicher abgeblasen, als Claus Gulba sich 1961   offiziell bei der GST, der staatlichen paramilitärischen Gesellschaft für Sport und Technik anmeldete um dort sein Hobby Tauchsport aktiver treiben zu können, weil die GST tolle Tauchgeräte und Pressluft hatte. Jemand, der nutzbar sein kann bei der vormilitärischen Ausbildung von Jugendlichen, den buchtet man halt nicht  wegen ein bisschen Westfernsehen und überproportionalem Erfinden ein, nur weil er nicht in der SED ist, schlußfolgerten  nun seine Beobachter. 

Claus wurde vorerst in in Ruhe gelassen. Er wurde erst wieder verdächtig, als er an einem sonnigem Tag mit einem Fotoapparat erst über und dann unter Wasser herum hantierte. Das war deswegen seltenverdächtig, weil es in der DDR für Geld und gute Worte und beste Beziehungen keinen Fotoapparat für unter Wasser zu kaufen gab. Es gab soetwas einfach nicht! Die intensiven Recherchen der "Beobachter" ergaben, er hatte den überaus raffinierten Apparat heimtückisch selber erfunden, entwickelt und gebaut. Ein wasserdichtes Aluminiumgehäuse mit allem notwendigem technischem Pipapo nahm einen Fotoapparat  Marke Exa sicher und trocken für die Tauchgänge auf. Unerhört!

Da es in den paar stehenden Gewässern in Thüringen keine Staatsgeheimnisse zu fotografieren gab, nahmen die "Beobachter" an, das es zutiefst staatsgefährdend wäre, wenn es Staatsgeheimnisse unter Wasser gäbe - denn die könnte der einsteinhafte Gulba ja nun mit seiner Erfindung fotografieren. Gefährlich wäre ausserdem, er könnte ja auch fotografieren, dass es keine Staatsgeheimnisse unter Wasser gibt. Auch hätte Claus Gulba in einer Gaststätte öffentlich geäussert mit so einem Tauchgerät Medinixe könne man unbesehen in den Westen unter Wasser abhauen, da bei diesem Gerät keine Luftblasen an die Oberfläche sprudelten, weil das Ding mit Sauerstoff und einem bissel Kalk schon seit Adolfs Zeiten funktioniert. Und wieder wurden Vorbereitungen getroffen Gulba erst einmal prophylaktisch wegzusperren, zumal er nun auch noch ein verdächtiger Bürger mit "HWG" war. HWG ist aber nichts politisches HWG ist die Abkürzung für  häufig wechselnder Geschlechtsverkehr, so das damalige ostdeutsche Amtsdeutsch. Claus war eben damals schlicht und einfach unter den Töchtern der Stadt auf Brautschau und am "Probieren" der richtigen Partnerin.

Als die emsigen Häscher des Ministeriums für Staatssicherheit eines frühen Morgens in seine Wohnung eindrangen, um ihn vorsorglich abzuholen, war die Wohnung leer bis auf den kleinsten Krümel. Der technische Einstein-Gulba war spurlos bei Nacht und Nebel weg - wahrscheinlich in den Westen, so die zu späte Erkenntnis des Festnahmekommandos. 

Erst Tage später kam heraus, wohin er eigentlich entwestet war. Claus hatte einfach in seinem Betrieb vor 14 Tagen ohne viel Trallalla fristgemäß gekündigt und war achtzehn Kilometer weiter westlich im Kreis Bad Salzungen mit seiner Freundin und zukünftigen Frau nach Vacha in das hermetisch abgesperrte Grenzgebiet gezogen. Er arbeitete und erfand 1 Km entfernt von der Staatsgrenze der DDR Kabelmaschinenteile  im Kabelwerk und hatte sich ganz üblich polizeilich in Bad Salzungen abgemeldet und in Vacha wieder angemeldet. Zur Polizei hatten ihn die "Beobachter" sicher nicht verfolgt, weil er zum Volkspolizeikreisamteingang für KFZ-Anmeldungen betrat und einfach über den Flur zur Personenmeldestelle ging. 

Ratlos tagte eventuell tagelang das Ministerium für Staatssicherheit in der Kreisdienststelle Bad Salzungen was in diesem unerhörtem speziellem kompliziertem Falle nun zu tun sei. Ausserdem war Claus noch überflüssigerweise und hinterhältig ohne Wissen der Stasi im Kabelwerk in die SED Betriebsgruppe und in die Vereinigung für Deutsch Sowjetische Freundschaft eingetreten. Man tat ihm wegen der ganzen Blamage vorsichtshalber nichts. Fast nichts. Nur seinen Posten als Taucherausbilder  und Chef der Salzunger Tauchsportgruppe wurde ihm ohne viel Federlesens entzogen, weil er hätte ja in Tausend Meter Werra unter Wasser weg sein könnte. 20 Jahre später praktizierte das einer seiner Nachfolger. Weg  unter Wasser in den Westen. Zwei Jahre später verspürte Claus Gulba den gleichen Druck wie in Bad Salzungen und verschwand wieder plötzlich bei Nacht und Nebel aus dem Kreis Bad Salzungen, kurz bevor alle Rundfunkmechaniker aus Bad Salzungen auf viele Jahre wegen Spionage verurteilt wurden - Ihr einzigstes Verbrechen - sie hätten funken können. 

Nun ist er wirklich weg, dachte wieder diese "sozialistischen" Staatssicherheitsexperten. Nur - Claus war nur fast weg. Claus war einfach wieder einmal  blitzschnell gut durchplant umgezogen. Diesmal in nordöstlicher Richtung nach Berlin während seine missliche Kaderakte von ihm in den Süden der DDR dirigiert wurde. Er baute sich in Berlin ein  Haus sicher wieder mit nicht wenigen Erfindungen und tauchte fast endgültig in der grossen Stadt unter. Aber nur fast. Bis zur Wende sind sie entsprechend seiner Stasiakte am Ball  also an Claus geblieben und protokollierten mit welchen unüblichen Raffinessen Claus seine Baumassnahmen gekonnt realisierte. Jahre vor der Wende gelang es ihm nach einem verordnetem Parteischulkurs die richtigen Argumente zu finden, um mit einem Hinweis auf seine objektiv vorhandene idealistische Weltanschauung schadlos aus der Partei der Arbeiter und Bauern auszusteigen.

Ich habe Claus über das Internet mit einer Nachricht gefunden, durch die er sich bei mir gemeldet hat. Claus war in Bad Salzungen mein erster Tauchlehrer und auch seine tollen Fähigkeiten als Ingenieur hatten mich damals beeindruckt und waren eines der Motive selber später Ingenieur zu werden. Auf mein damaliges Gejammer, dass es keine Gewichte für den Tauchergürtel zu kaufen gäbe, drückte mir  Claus Guba damals ein Bleigewicht in die Hand und balferte: "Giess dir welche, Blei gibt es in jedem lumpigem Akku, Gas und alten Topf hast Du in jeder Küche, Gips für die Form gibts genug!" -  "Gibts nicht - gilt nicht" - " Mach dir einen Kopf, wenn du hast!"

Stigmatisiert haben ihn aber doch ein wenig diese "alten" Ereignisse. Claus ist misstrauisch geblieben. Ich weis bis heute nicht,  wo er wohnt und kenne auch nicht seine neue Telefonnummer unsd akzeptiere das. Empfehlen möchte ich aber niemanden Claus unangemeldet im Dunkeln heimlich zu besuchen - es könnte ein wenig elektrisch gesehen gesundheitsschädlich sein. Vor 14 Tagen traf ich mich nach einem Anruf  von ihm auf ein Bier im Köpenick Center und habe  diese Aufnahmen für diese Geschichte geknipst. 

Das Ministerium für Staatssicherheit der DDR wird oft als bisher bester Geheimdienst der Welt hingestellt. Ich glaube ich kann mit dieser Geschichte ein klein wenig diesem Nimbus den Zahn ziehen. So gut waren die schlichtweg nicht. Besonders perfide finde ich, das diese "tolle" Truppe viele viele Jahre Salzunger Bürger wegen angeblicher Spionage hinter Gittern brachte, weil sie nach dem Westen gefunkt hätten können. Die traurige Pointe hier ist "Sie hätten funken können!". Nochmal:  Die Betonung liegt auf hätten und können. 

Könner waren sie nur in einem. Sie konnten Menschen in Angst  und Schrecken  versetzen....bis heute am 19. Mai 2001.....auch wenn sie  in diesem Sinn Claus Gulba schliessendlich nicht gefangen hatten.

© rhebs 2001
 

 

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