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Die Hebbe
In einem Winter Mitte der Fünfziger
Jahre bei einem Dorf in der Nähe von Gotha an einem späten Nachmittag
nimmt eine ältere Frau nach dem Besuch ihrer Schwester im Nachbardorf
auf dem Rückweg eine Abkürzung. Die Abkürzung ist ein Hohlweg,
der beidseitig von Holunderbüschen begrenzt wird.
Die Frau läuft nach dem ersten Schreck
mit schnellen Schritten in ihr Dorf, eilt zum Bürgermeister und berichtet
aufgeregt von ihrem Fund. Der begibt sich mit mehreren Nachbarn als Verstärkung
eilig zur Fundstelle der Schuhe und der Ferse.
1955 ist kalter Krieg in Deutschland und
somit auch in Mitteldeutschland. Eine solche Nachricht kann man da gut
gebrauchen. Eigentlich tappt die Polizei noch total im Dunkeln. Zwei Jahre
später, 1957, findet man wieder eine Mann im braunen Anzug mit gespaltenem
Schädel in einer Feldscheune wenige Hundert Meter vom Fundort der
damaligen Leiche. Es scheint wieder ein Amerikaner zu sein. Seine Bekleidung
wird eindeutig als "Made in USA" identifiziert.
Eine Hebbe ist ein altes Werkzeug der Waldarbeiter
und sieht aus wie ein Hackmesser mit einer nach innen geschwungenen Klinge.
Ein schweres Schlagmesser, mit dem früher Waldarbeiter die unteren
abgestorbenen Äste von jungen Fichten in Schonungen abschlugen. Bis
zum Anfang des vorigen Jahrhunderts wurden diese seltsamen Werkzeuge in
den Fichtenschonungen zum Entästen eingesetzt. Danach seltener - es
rentierte sich nicht mehr. Nur noch arme Reisigsammler nach dem letzten
Krieg benutzten dieses Werkzeug, da der Waldboden oft schon nichts mehr
zum Sammeln hergab.
Die Witwe schweigt. Nach vier Tagen Vernehmungen hängt sich die Witwe in der Untersuchungszelle am Fensterkreuz auf. Bei einer Haussuchung bei ihr findet man amerikanische Konserven, Bekleidung und eine beträchtliche Menge Bargeld. In einer Schatulle noch einige Stücke wertvollen Goldschmucks. Der Vater der Witwe war Waldarbeiter und es ist anzunehmen, dass die Witwe wußte, was eine Hebbe war. Schnell kommt heraus, das der Bruder des Vaters der Witwe 1926 mit einer Hebbe erschlagen wurde. Ein Täter konnte nie ermittelt werden. Ferner stellt sich heraus, daß der Mann der Witwe im Konzentrationslager Buchenwald Scharführer der SS war. Er wurde nach dem Ende des Krieges von den Amerikanern verurteilt und gehängt. Der Rest ist schnell erzählt. Ein Vernehmer der US-Armee, der das Bewachungs- und Verwaltungspersonal des Konzentrantionslagers verhörte, behielt möglicherweise für sich, dass der Scharführer eine oder mehrere Kisten, wahrscheinlich mit Goldzähnen und -schmuck in dieser Feldscheune versteckt hatte. Unter einem Vorwand, vermutlich als amerikanische Verwandte, nahm man dann einige Jahre nach dem Krieg zu der Witwe Kontakt auf, um sie für kommende Besuche freundlich zu stimmen. Man schickte aus New York Konserven und Bekleidung. Einige dieser Briefe von den vermeintlichen Verwandten werden dann auch gefunden. Damals erschien eines Tages bei der Witwe der erste Besuch. Dieser wurde sehr unfreundlich mit der Hebbe empfangen. Die Witwe war nachtragend und wollte den "Besitz" ihres verstorbenen Mannes lieber selbst behalten. Ein Jahr später versuchte ein Verwandter oder Bekannter des Ermordeten einen zweiten Besuch. Ebenso mit einer Hebbe im Kopf endete auch dieser Versuch. Kurz und tödlich. 1992 wird in der Nähe von Gotha von einem Amerikaner, so munkelt man, ein kleines unbedeutendes Haus mit einer Feldscheune gekauft. Mit Hilfe eines Baggers reißt man das Haus anschließend bis auf die Grundmauern ab, um es dann neu wieder aufzubauen. Die schwere Eingangstüre des Hauses aus massiver Eiche baut man dabei wird wieder in das neue Haus ein. Das Haus ist an einem Tierarzt vermietet. In die Eichenplanken der Tür ist eine
Hebbe eingelassen. Ich frage den Tierarzt, was die Hebbe in der Türe
bedeutet. Der Tierarzt ist zugezogen, er weiß das nicht.
Und auch Sie wissen es jetzt!
© Richard Hebstreit 27.01.2002 L1=die |
. | richard
hebstreit
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