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Die Hebbe 

In einem Winter Mitte der Fünfziger Jahre bei einem Dorf in der Nähe von Gotha an einem späten Nachmittag nimmt eine ältere Frau nach dem Besuch ihrer Schwester im Nachbardorf auf dem Rückweg eine Abkürzung. Die Abkürzung ist ein Hohlweg, der beidseitig von Holunderbüschen begrenzt wird. 
Wie sie durch den Hohlweg schnurstracks nach Hause will, sieht sie in den  Wurzeln eines Gebüsches einen braunen Männerhalbschuh. Die Frau wird neugierig und sieht sich den Männerschuh an. Er ist fast neu. Es ist ein rechter Schuh. Ihre Augen schweifen weiter durch das Gebüsch und sie erblickt einen zweiten Schuh. Einen linken Männerschuh. Neben dem linken Schuh ragt unter Laub und vermoderten Ästen etwas heraus, das aussieht wie eine Ferse. Eine leblose Ferse eines Menschen mit einem kleinen Loch im Strumpf. Der Frau wird klar, hier liegt ein Mensch im Gebüsch. Sie erschrickt furchtbar und möchte schreien. Doch der Schreck ist so groß, dass sie keinen Ton aus ihrem Mund heraus bekommt. 

Die Frau läuft nach dem ersten Schreck mit schnellen Schritten in ihr Dorf, eilt zum Bürgermeister und berichtet aufgeregt von ihrem Fund. Der begibt sich mit mehreren Nachbarn als Verstärkung eilig zur Fundstelle der Schuhe und der Ferse. 
Noch am gleichen Abend beginnen die Untersuchungen der Kriminalpolizei. Die Untersuchungen ergeben, dass in dem Holundergebüsch ein erschlagener Mann seit wenigen Tagen liegt. Der Kopf ist vom Stirnbereich bis zum Oberkiefer wie von einer Axt gespalten. Der Tote ist bekleidet mit einem braunen Anzug und Unterwäsche, vermutlich in den USA hergestellt. Denn die Ledersohlen haben Einprägungen eines New Yorker Schuhherstellers. In den Taschen des Toten findet man nichts, außer einige  wenige Zigarettenkrümel. Der Mann, Anfang Dreissig, trägt an seiner rechten Hand am Ringfinger einen fulminanten Ehering mit der Gravur "Liss 1954-4-4". 
Die Obduktion ergibt, dass der Mann mit einem Werkzeug ähnlich einer Axt erschlagen wurde. 
Tagelang befragt die Polizei die Bewohner der umliegenden Dörfer. Doch niemand hat in den vergangenen Tagen einen Fremden in einem braunen Anzug und braunen Schuhen gesehen. 
Ein Kriminalchef der Thüringer Polizei liefert nach wenigen Wochen einen Abschlußbericht ab, in dem das Ergebnis der Untersuchung bekannt gegeben wird, um die Bevölkerung der umliegenden Dörfer nahe dem Fundort des Toten zu beruhigen: "Ein amerikanischer Spion oder Agent hat einen anderen amerikanischen Spion oder Agenten bei Gotha auf offenen Feld mit der Axt erschlagen".

1955 ist kalter Krieg in Deutschland und somit auch in Mitteldeutschland. Eine solche Nachricht kann man da gut gebrauchen. Eigentlich tappt die Polizei noch total im Dunkeln. Zwei Jahre später, 1957, findet man wieder eine Mann im braunen Anzug mit gespaltenem Schädel in einer Feldscheune wenige Hundert Meter vom Fundort der damaligen Leiche. Es scheint wieder ein Amerikaner zu sein. Seine Bekleidung wird eindeutig als "Made in USA" identifiziert. 
Die Tatwaffe steckt noch in seinem Kopf. Es ist eine Hebbe. 

Eine Hebbe ist ein altes Werkzeug der Waldarbeiter und sieht aus wie ein Hackmesser mit einer nach innen geschwungenen Klinge. Ein schweres Schlagmesser, mit dem früher Waldarbeiter die unteren abgestorbenen Äste von jungen Fichten in Schonungen abschlugen. Bis zum Anfang des vorigen Jahrhunderts wurden diese seltsamen Werkzeuge in den Fichtenschonungen zum Entästen eingesetzt. Danach seltener - es rentierte sich nicht mehr. Nur noch arme Reisigsammler nach dem letzten Krieg benutzten dieses Werkzeug, da der Waldboden oft schon nichts mehr zum Sammeln hergab. 
In der Feldscheune entdeckt man unter Stroh und Gerümpel eine tadellos erhaltene größere Munitionskiste der Deutschen Wehrmacht. Sie ist leer. Die Besitzerin der Scheune, eine Witwe aus Gotha wird vernommen. 

Die Witwe schweigt. 

Nach vier Tagen Vernehmungen hängt sich die Witwe in der Untersuchungszelle am Fensterkreuz auf. Bei einer Haussuchung bei ihr findet man amerikanische Konserven, Bekleidung und eine beträchtliche Menge Bargeld. In einer Schatulle noch einige Stücke wertvollen Goldschmucks. Der Vater der Witwe war Waldarbeiter und es ist anzunehmen, dass die Witwe wußte, was eine Hebbe war. Schnell kommt heraus, das der Bruder des Vaters der Witwe 1926 mit einer Hebbe erschlagen wurde. Ein Täter konnte nie ermittelt werden. Ferner stellt sich heraus, daß der Mann der Witwe im Konzentrationslager Buchenwald Scharführer der SS war. Er wurde nach dem Ende des Krieges von den Amerikanern verurteilt und gehängt. 

Der Rest ist schnell erzählt. Ein Vernehmer der US-Armee, der das Bewachungs- und Verwaltungspersonal des Konzentrantionslagers verhörte, behielt möglicherweise für sich, dass der Scharführer eine oder mehrere Kisten, wahrscheinlich mit Goldzähnen und -schmuck in dieser Feldscheune versteckt hatte. Unter einem Vorwand, vermutlich als amerikanische Verwandte, nahm man dann einige Jahre nach dem Krieg zu der Witwe Kontakt auf, um sie für kommende Besuche freundlich zu stimmen. Man schickte aus New York Konserven und Bekleidung. 

Einige dieser Briefe von den vermeintlichen Verwandten werden dann auch gefunden. Damals erschien eines Tages bei der Witwe der erste Besuch. Dieser wurde sehr unfreundlich mit der Hebbe empfangen. Die Witwe war nachtragend und wollte den "Besitz" ihres verstorbenen Mannes lieber selbst behalten. Ein Jahr später versuchte ein Verwandter oder Bekannter des Ermordeten einen zweiten Besuch. Ebenso mit einer Hebbe im Kopf endete auch dieser Versuch. Kurz und tödlich. 

1992 wird in der Nähe von Gotha von einem Amerikaner, so munkelt man, ein kleines unbedeutendes Haus mit einer Feldscheune gekauft. Mit Hilfe eines Baggers reißt man das Haus anschließend bis auf die Grundmauern ab, um es dann neu wieder aufzubauen. Die schwere Eingangstüre des Hauses aus massiver Eiche baut man dabei wird wieder in das neue Haus ein. Das Haus ist an einem Tierarzt vermietet. 

In die Eichenplanken der Tür ist eine Hebbe eingelassen. Ich frage den Tierarzt, was die Hebbe in der Türe bedeutet. Der Tierarzt ist zugezogen, er weiß das nicht. 
Ich aber weiß es, einige Leute im Dorf wissen es gleichfalls.
Was man mit einer schweren, scharfen Thüringer Hebbe alles so machen kann. 

Und auch Sie wissen es jetzt! 
 

©  Richard Hebstreit 27.01.2002 

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