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Der Jäger und die tote Frau neben dem Nachttisch

Um die Mitte der 70er Jahre war R. Antiquitätenjäger. Also nicht Antiquitätenbesorger im Sinne eines Antquitätensammlers, der sich am Horten und Besitz der alten Dinge erfreut. Er hatte Antiquitäten gejagt zum einem aus pekuniärem Interesse aber noch wichtiger war die Jagd an sich. Nicht das Ziel, der Besitz war interessant, sondern der Weg. Wie man so schön sagt "Der Weg ist das Ziel"

Begonnen hätte alles mit einer leeren Familienkasse kurz vor einem Urlaub. Es gab keine Möglichkeit mehr diese Kasse kurzfristig aufzufüllen und so ist R. durch sein altes geerbtes Haus geschlichen, um zu durchsuchen, was man für diesen Zweck kurzfristig versilbern könnte. Die alten Dinge, welche irgendwo sinnvoll oder sinnlos herumstanden oder herumhingen, wurden erstmals unter dem Blickwinkel der sofortigen Verwertbarkeit betrachtet. Bisher fast unerkannt und als Funktion oder selbstverständliche Dekoration wahrgenommen, wanderten die Dinge in einen Beurteilungszusammenhang von denen er noch absolut keine Ahnung hatte. 

Irgendwie war es ihm vom Allgemeinwissen her schon klar, dass es alte Dinge gab, welche einen geldwerten kulturellem "Wert" an sich haben. Es war aber schon ein Unterschied, ob man 30, 300 oder 3000 Mark erzielen konnte. Diese Unterschiede kannte er nicht.

Die Möbel lies er erst einmal aus der Betrachtung heraus, da er schon ahnte, dass ein entbehrliches Möbelstück nicht kurzfristig zu verwerten war. Es musste etwas kleineres handlicheres sein. Irgendwann stand  R.  dann im Treppenhaus vor einem vierzig mal sechzig Zentimeter großem Gemälde, welches in einem relativ prachtvollem Goldstuckrahmen gerahmt war. Das Motiv, zwei Pferde, welche auf einer sommerlichen Weide herumstanden, stammte aus dem Besitz seines Urgroßvaters, der ebenso wie sein Grossvater Pferdenarr war. Sein Großvater erzählte, das der vermögender Urgrossvater das Bild in Hamburg um die Jahrhundertwende kaufte. Die Pferde wären Araber, das könne man an den kleinen Pferdeköpfen und dem durchhängendem Rücken erkennen.

Das Bild war in der unteren rechten Ecke mit einem kleinem schwungvollem Schriftzug und Datum signiert. A.Verboekhoven, 1889. Mit Kenntnis dieser Signatur wanderte R. in die nächste Bibliothek und durchstöberte die vorrätigen Künstlerlexikas. In einem fulminanten mehrbändigen Werk wurde er fündig. Im Künstlerlexikon Thieme Becker war über viele Zeilen beschrieben, dass A.Verboekhoven als akademischer Maler um die Jahrhundertwende in Holland und Deutschland als ziemlich bekannter und erfolgreicher Pferdemaler wirkte. Die anwesende Bibliothekarin verdeutlichte dann noch R., wer im Thieme/Becker steht, der muss was wert sein - "sonst würde er nicht im Thieme Becker stehen!".

Am gleichen Tag setzte R. in eine regionale Tageszeitung ein Inserat " Verkaufe an Liebhaber: Ölgemälde "Zwei bildschöne Araber auf Sommerwiese" gemalt von dem bekannten holländischem Maler A.Verboekhoven, Thieme/Becker, Seite soundso, Telefonnummer, Preis 4500 Mark!"

Nach einer Woche befanden sich kurz vor dem Urlaub 4500 Mark in der Familienkasse und so motiviert wurde R.  nach dem Urlaub Antiquitätenjäger speziell auf dem Gebiet seltener Gemälde. Er fand die Jagd spannend. Spannend war auch das Ergebnis dieser Jagd. Bargeld.

Nun ergab es sich aber, dass die Jagd nach einem Bild irgendwo an einer Wand nicht so einfach wie bei der ersten Jagd war, welche auch mehr das Ergebnis eines Einsammelns gewesen war. Dazu mussten Jagdmethoden her, um an  die Bilder heran zu kommen. Besonders an alte und ältere Bilder. Also wurde ein hinterhältiges Inserat in Tageszeitungen plaziert "Sammler sucht alte Nähmaschinen!", denn alte Nähmaschinen standen fast überall auf Böden, Speichern und in Kellern herum. Es regnete Antworten auf diese Anzeigen. Bei dieser bequemen Gelegenheit wurde dann der entsprechende Boden, Keller oder Speicher gründlichst untersucht, bis da und dort dieses oder jenes Bild für ein paar Mark den Besitzer wechselten. 

Eines Tages bekam R. von einem Freund, der das gleiche "Hobby" frönte einen Anruf. "In der .....straße wird  heute die Wohnung von Verwandten einer älteren Frau aufgelöst. Die Frau, über achtzig, von der die Wohnung aufgelöst wird, liegt noch da. Kommst Du mit, wenn Dich das nicht stört?". R. kam eine Stunde später mit und betrat hinter ihm gedeckt eine ehemalige herrschaftliche Stadthauswohnung, welche mit Gründerzeit-Mobilar und Stapeln von Büchern und Zeitungen vollgestopft war. Im Schlafzimmer lag in einem riesigen Ehebett eine kleine alte Frau mit zugebundenem Kinn. Die wohnungsauflösenden Verwandten, zwei rüstige Damen  bedeuteteten lautstark "Sie können sich  alles ansehen, die Wohnung wird bis heute Abend ausgeräumt, wir müssen morgen wieder zurück!  Die Frau ..... wird nachher abgeholt - bitte beeilen Sie sich!"

Zielsicher steuerte der Freund von R. dem Nachttisch neben dem riesigem Ehebett mit der kleinen alten Frau zu und begann mit Hilfe einer kleinen Taschenlampe die obere Schublade des Nachttisches nach Raritäten zu durchsuchen. R. fasste sich ein Herz und hockte sich neben seinem Freund vor die von ihm geöffnete Tür des Nachttisches und begann ebenso emsig zu kramen. Als er gerade ein kleines Ölbild auf einer ca. 10 mal 16 Zentimeter Holztafel  aus dem Nachttisch in der Hand hielt, wagte er einen Blick zu dem wenige Zentimeter entfernten Gesicht der im tiefen Kissen ruhenden alten Frau. Diese, wie er meinte tote Frau sprach auf einmal mit deutlichen Worten drei Worte: "Heckel, Erich Heckel!" und wendete ihm langsam kraftlos ihr in tausend Falten zerschnittenes Gesicht zu und wendet es kraftlos ebenso langsam wieder ab.

Das Bild in der Hand behaltend und schreckdurchzogen floh R. aus dem Zimmer und wurde von einer der Verwandten im Flur gestoppt. "Die lebt ja noch - die spricht!" Sagte er stammelnd "Freilich lebt Frau ...... noch, wir müssen sie ins Pflegeheim bringen, weil sie nur noch wenige lichte Momente hat." entgegnete die Verwandte.

R. bezahlte nach kurzem Feilschen 100 Mark für das kleine auf eine Holztafel gemalte Bild und verschwand mit Grausen von dieser Wohnungsauflösung.

Vom Schreck erholt kramte er am anderem Tag im Thieme/Becker. Ernst Heckel  gehörte zu den Brückemalern in Dresden, war Expressionist und seine Bilder wurden weltweit von namhaften Sammlern und Museen dringendst zu tollen Preisen gesucht. "Mist" dachte R. und rief sofort seinen Freund an, um nachzufragen, ob er noch weitere Bilder in der Wohnungsauflösung entdeckt hätte. Der verneinte.

Tage später machte sich R. auf den Weg zu einem namhaften Expressionisten-Experten in W. Neugierig setzte sich der dort in W. seine beste Brille auf und wickelte vorsichtig das Bildchen aus einer dicken Lage Seidenpapier.

Nach kurzer Betrachtung äußerte er R. gegenüber, dass er dieses Bild gut kenne. Er habe es schon einmal vor einigen Jahren in der Hand gehabt. Es wäre ihm von einer rüstigen Dame gezeigt bekommen, welche dieses Bild sich von einer Verwandten ausgeliehen hatte, welche Ernst Heckel sehr gut kannte. Das Bild ist nicht von Heckel, sondern nach Heckel gemalt. Das Gemälde heisst "Der gläserneTag" Die Frau auf dem Bild im "Gläsernen Tag" hat das Bild vom Original abgemalt, weil der Erich ihr das Original nicht geben wollte... nach einem Nachmittag mit der Frau an einem See. Er durfte sie ja auch nur ansehen und sich ein Bild von ihr machen.

Am darauffolgendem Tag ging R. zu der Dame mit dem Tuch unter dem Kinn in das Pflegeheim und stellte das Bild zusammen mit einen kleinen Sommerblumenstrauß auf den Nachttisch. 

Das wäre eine rührende Pointe gewesen. 

Das diese nicht stimmt, beweist das Bild unter dem Text von R.

Wer jetzt über den Jäger empört ist - Das beweist, die Geschichte ist gar nicht mal so schlecht geschrieben. In Wahrheit war alles ganz anders, aber das ist schon wieder eine andere Geschichte

 © R.2001

PS..... geschrieben ist die Geschichte für Hannes ....nachträglich zum Geburtstag.

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