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Der heilige Hund in der Simon-Dach-Strasse

Am 6. Juli  Anfang des neuen Jahrtausends steigt gegen Zehn Uhr Vormittags  Fanziskanerpater Simon Dach in  den Flieger Rom  -  Berlin. Sein Ziel an diesem schönen Julivormittag ist die Hauptstadt Deutschlands. Zweck ist ein Kolloquium zum Thema  "Giovanni Battista Tiepolos Mariendarstellungen" -   Simon Dach ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in einer kleinen Forschungsabteilung am Vatikan. Simon Dach ist Spezialist . 

Sein Forschungsgebiet sind Erscheinungen. Im speziellen bildhafte Heiligenschein-Erscheinungen in der Malerei des Europäischen Barock. Dach forscht über die Art und Weise der Darstellungen von Heiligen und ganz konkret ueber Heiligenscheine. Was Simon Dach wenige Minuten, nach dem er im Flieger sitzt, noch nicht weis - in Berlin gibt es eine Simon-Dach-Strasse. Aber wenige Minuten, nach diesen wenigen Minuten im Flieger nach Berlin,  in der er sich das erste mal mit Berlin als Stadt auseinander setzt,  finden seine Finger im alphabetischen Verzeichnis des  Falckstadtplanes den Eintrag "Simon-Dach-Strasse".

Simon Dach ist eitel, sehr eitel und streicht selbstverloren ueber sein kleines in feinen Vatikankantinen angefressenes Bäuchlein. "Simon-Dach.....toll, da heisst ja eine Strasse nach mir....respektive nach einem Namensvetter gleichen Namens" . "Die Strasse sehe ich mir mal an", resümiert Simon und Simon kritzelt in seinen Mini Terminkalender für den  dritten Tag Nachmittags seines Berlin Besuches:  "Simon-Dach-Strasse besichtigen!"

In diesem Moment bekommt Simon Dach von seinem Nachbarn an seiner rechten Seite einen vollen Becher Coca Cola auf seine Franziskaner Soutane geschüttet. "Gottverdammich-kruzitürken-saublöder Bazi!" flucht Simon in diesem Moment laut und krächzend seinem zitterigen Nachbarn in sein betretenes Gesicht. Er flucht bayrisch, denn Simon stammt aus Bayern, er flucht gotteslaesterlich, weil Simon nicht an Gott glaubt.  Bis zur Priesterweihe glaubte Simon an Gott.....aus irgend welchen Gruenden glaubte Simon nicht mehr an seinen obersten Dienstherren. Aber das tut erst einmal hier nichts zur Sache. Noch nicht.

Nach stundenlangen nicht endenden wollenden  Vorträgen und Diskussionen über G. B. Tiepolo wuselt sich Simon Dach an einem schönen mittelwarmen Julinachmittag nach einigen kleinen Irrffahrten mit der Berliner U-Bahn in die besagte  Simon-Dach-Strasse.  Die Simon-Dach-Strasse ist eine Strasse, welche seit einigen Monaten zu einer Berliner Szenestrasse mutierte, in der sich wie an einer Perlenkette Sszenekneipen an Szenekneipen reihten. 

Für Simon-Dach ist das alles  höchst seltsam und er beschliesst einen Cappuchino zu schlürfen und schnellstmöglich wieder diesem lockerem Turi-Treiben zu entschwinden.

Als Simon gerade den Milchschaum vorsichtig von Cappuchino abschlürfte, fällt sein Blick auf eine sehr dürre mittelälterliche Frau mit Hund, die sich mit einem dicken Mann unterhält. Die Dame registriert Simon kaum. Simon registriert den Hund. Dieser Hund, ein Pittbull - ist nicht dürr. Muskeln spielen um Muskeln. Simon sieht diese Muskeln nicht, sieht nicht  mal richtig den Hund. Simon sieht einen Heiligenschein, sieht einen Heiligenschein, wie von ihm tausende male beschrieben. Beschrieben in der Malerei des Barock, der Renaissance und im Klassizismus. Nur - dieser Heiligenschin ist nicht gemalt von Veriggio, Tiepolo oder von Degas. Dieser Heiligenschein ist real. Real wie der Hund. Deutlich so 10 Zentimeter über der brutalen Pittbullvisage schwebt ein rauchiger Ring. Kippt der Pittbull seinen massigen Kopf mit blutunterlaufenden  und dumpfen dummen Augen zur Seite, kippt der Heiligenschein mit. Nach rechts nach links. Ueberall, wohin der Hund seinen Kopf dreht, der Heiligenschein dreht und wandert mit. Mit dem Hund um die dürre Frau. 

Simon klappt den Mund auf und staunt. Staunt das erste mal in seinem Leben über eine reale reelle Heiligenschein Erscheinung. 

"Sie" murmelt er auf einmal laut und deutlich zu mir, da ich am gleichen Tisch sitze. "Sehen sie das - sehen sie das auch?"  "Ja freilich" sag ich " Der Hund hat was am Kopf - sieht aus wie ein Heiligenschen" 

"Das ist ja ein Ding!" erwieder ich auch schon staunend.

"Sie sind mein Zeuge! Haben sie einen Fotoapparat?"

"Ja freilich - ich hab sogar zwei!  Eine Digitalkamera und eine Konica."

"Schnell, schnell" bellt er auf einmal hektisch - nehmen sie das auf - schnell- sie sind mein Zeuge!"

Während ich die Kameras aus der Tasche fummel und einige Bilder von dem Hund mit dem komischen Heiligenschein schieße, schulmeistert Simon Dach, der sich zugleich mit Name und Titel kurz vorstellt los:

"Ein echter Nimbiert..... ein Nimbus.  Das ist ein Heiligenschein, kommt aus dem lateinischem  von nimbus = Wolke, spielt in der christlichen Kunst eine große Rolle. Er umhüllt den Kopf von Jesus Christus, Maria, den Aposteln und unzähligen Heiligen. Schon in der Antike umgab ein Strahlenkranz als Zeichen der Erhabenheit die Götter, Heroen und Herrscher. Seit der konstantinischen Zeit wurde der Strahlen- oder Lichtschein zunächst für Christus benutzt, später auch für biblische Figuren, Märtyrer, Heilige, kirchliche Würdenträger und Herrscher auf christlichen Kunstwerken. Sogar der Reichsadler des Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation hätte einen und der Markuslöwe in Venedig." 

Der Bundesadler hätte keinen - aber das wüsste ich ja . 

Erst kürzlich hätte er in  einem Artikel, der anlässlich der Heilig-Jahr-Feier der Wissenschafter in der Vatikanzeitung "L'Osservatore Romano" erschien, in einer Abhandlung zum Nimbus des Reichsadlers aus seiner neueren Forschung beschrieben und ist untröstlich, weil der Bundesadler der Bundesrepublik Deutschland nicht auch einen Heiligenschein als heiliges Prädikat vorweisen kann. 

Ich erwidere leicht erstaunt , das ich mich da nicht so aus kenne und knipse munter den Hund. Den Hund mit dem Heiligenschein in der Simon-Dach-Straße.

Ich wunder mich nun auch über das Wunder.

Simon Dach zitiert in diesem Zusammenhang einen Kardinal Robert Bellarmine, der im Falle Galileis sagte, wenn etwas wissenschaftlich bewiesen sei und der Heiligen Schrift zu widersprechen scheine, dann sei es Sache der Theologen, die Schrift neu zu interpretieren; sei aber etwas nicht wissenschaftlich bewiesen, sollte die Schrift massgebend sein. Warum also, meint Simon Dach, sollten wir Theologie mit schlechter Wissenschaft treiben, wenn wir es auch mit guter könnten? 

"Fotografieren sie, fotografieren sie, fotografieren sie - ich übernehme alle Kosten!" zetert er dreimal hintereinander. 

In diesem Moment klatscht mir jemand auf die Schulter und dröhnt " Mensch, was machst du denn hier!" Ich drehe mich zur Seite und sehe Dietmar, einen guten Bekannten, der mit einer Tüte Bockwürste herumfuchtelt. 

" Na, siehste doch - einen Hund mit Heiligenschein fotografieren!" 

Dietmar schaut in die Richtung meines Kameraobjektives und bestätigt diesen seltsamen unerhörten Vorgang in der Simon-Dach-Straße mit lautlosem Nicken"

Dann sagt Dietmar laut und deutlich: "Der Hund hat ja einen Heiligenschein!"

Begeisternd und impulsiv zerrt Somon Dach Dietmar am Arm zu sich neben seinen Stuhl. Die Böckwürste knallen auf den Tisch und die Tüte platzt auf. Zwei Würste fliegen in Richtung Hund und mit einem Schnapp hat der Heilige Hund eine Bockwurst von Dietmar gefressen. Schnapp, die zweite Wurst ist auch in seiner Pittbullschnauze verschwunden.

Der Heiligenschein leuchtet noch deutlicher. Jeder kann es sehen. Ein Hund mit einem Heiligenschein in der Simon-Dach-Straße. Simon Dach sieht es, ich sehe es und Dietmar sieht es auch. Die Kamera klickt noch immer und der Hund wackelt schön vorschriftsmässig mit seinem Kopf, damit auch der Heiligenschein schön mit wackelt.

Schade, denke ich, dass ich keine Videokamera dabei habe. Das glaubt uns doch sonst kein Mensch. Wie der Heiligenschein wippt, kann ich nicht fotografieren.

Simon Dach springt nun auf und geht die paar Schritte zu der Frau mit dem Hund.
Wir, Dietmar und ich hören nicht, was Simon Dach mit der Frau spricht. Die zerrt auf einmal ihren Hund zu sich, und entfernt sich mit schnellen Schritten. Die Erscheinung ist schnell verschwunden und Simon Dach kehrt zu unserem Tisch zurück. 

Langsam und bedächtig setzt sich Simon Dach wieder auf den Klappstuhl. "Eine Hexe!"
sagt er und wiederholt ungläubig "Eine Hexe  vom Prenzlauer Berg".  "Eine Hexe vom Prenzlauer Berg hat mir meinen Glauben wieder gegeben. Dem Herren sei es gedankt"

Anschliessend murmelt er was lateinisches und fordert uns auf, am anderen Tag nach Erkner in ein Restaurant als Zeugen dieses Vorfalls zu einem Frühstück zu kommen, wo er mit seinen Kollegen ein Abschiedsessen veranstaltet. Noch so eine halbe Stunde haben wir gemeinsam diesen Vorgang heftig diskutiert. 

Um acht Uhr anderen Tags sind wir beide in Erkner und lassen uns diesen Spaß nicht nehmen Simon Dachs glaubwürdige Zeugen zu mimen. Wir kommen auf eine Terasse, auf der sechs in schwarze Soutanen gekleidete Herren sitzen. Alle stehen erwartungsvoll auf  und harren unserem Zeugnis. Die Sonne steht noch tief, um diese Uhrzeit  und wirft lange Schatten auf eine kleine Weise an der Terasse.

In diesem Moment sagt Dietmar: "Guck da ma, meinen Schatten da auf der Wiese - ich habe einen Heiligenschein am Kopf." Ich sehe auf die Wiese, nach seinem Schatten und sehe keinen Heiligenschein - ich sehe einen Heiligenschein um meinen Kopf. Alle Anwesenden Padres sehen auf einmal Heiligenscheine - immer aber nur bei sich - nie bei den anderen.  Wie wir. 

Es wurde ein lustiger Vormittag. Dietmar trinkt 8 Flaschen Mineralwasser und ich trinke 5 Faschen Berliner Pilsner. Auf der Rückfahrt müssen wir zweimal zum Pinkeln anhalten.

Zwei Wochen später kommt von Simon Dach aus dem Vatikan die wissenschaftliche Erklärung per Brief:

"Wenn man sich am Morgen mit dem Rücken zur Sonne stellt und der eigene Schatten auf eine taubenetzte Wiese fällt, sieht man oft um den eigenen Kopf einen Lichtschein. Wenn man sich ein paar Schritte bewegt, wandert auch der sogenannte Heiligenschein mit. Er wird nur sichtbar, wenn Sonne, Beobachter und Schatten eine Linie bilden. Aus diesem Grunde hat jeder Beobachter seinen eigenen Heiligenschein und kann auch nur diesen wahrnehmen. Schon um den Schatten der seitlich ausgestreckten Hand ist dieser Lichtschein nicht mehr erkennbar. 

Am besten ist der Heiligenscheim bei tiefen Sonnenständen zu sehen, wenn der Beobachterschatten mindestens 15 m lang ist und auf kurzes Gras oder auf Klee fällt, und die Wiese durch Taubedeckung weißgrau wirkt. Folgende Punkte erleichtern das Auffinden des Heiligenscheins: Den Blick über die gesamte Wiese schweifen lassen und darauf achten, wie das Licht in der Nähe des eigenen Schattens zunimmt ein paar Schritte gehen - der Lichtschein wandert mit Stellen, an denen das Gras nicht besonders hell war, werden beleuchtet, wenn der Schatten näherkommt den eigenen Schatten mit dem einer anderen Person vergleichen, der Heiligenschein ist nur um den eigenen Kopf sichtbar Bei der Entstehung eines Heiligenscheins treffen die Lichtstrahlen auf einen Tautropfen und werden in diesem "gebündelt". Am Tröpfchenhintergrund (Grashalm, Blatt, Erde o.ä.) wird der gebündelte Lichtstrahl nun reflektiert und ein Großteil des Lichtes in alle Richtungen gestreut."
 

Für den Heiligen Hund aus der Simon-Dach-Straße gibt es keine Erklärung. Wir sollen niemand niemals davon berichten - das glaubt uns sowieso niemand - auch der Vatikan nicht, obwohl er in Persona letztendlich ja sogar dabei war! "Wahrscheinlich war das ein Marketinggeck mit Laser oder sowas, oder es war wirklich eine Hexe  vom Prenzlauer Berg, deren Hund im Arbeitsamt besondere Weihen bekommen hatte, als ihre Halterin die fünfzehnte Umschulung, diesmal zur Caritas-Altenpfelgerin in Aussicht gestellt bekommen hätte."

"Man kann ja nie wissen!" 

Letztendlich könne er in seiner Eigenschaft als Wissenschaftler des Vatikans erst bei einer gesamtdeutschen Arbeitslosenquote von 3 Prozent dem Vatikan den Vorschlag unterbreiten, dem Bundesadler einen Heiligenschein wie seinerzeit dem  Reichsadler des Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation zu zu sprechen.
 

Amen 
 

© Richard Hebstreit 2002 

 

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