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Die Hose 

Seltsames geschah 1963, als ich mit sogenannten Schlaghosen mitten im dritten Lehrjahr im Pressenwerk Bad Salzungen auftauchte. Gerade gab es eine heftige Diskussion wegen der Bluejaens, damals Niethosen genannt, die einen Jugendlichen als Verfechter und Dulder westlicher Dekadenz erscheinen ließ und die tiefe Mißachtung der Obrigkeit erzeugte. Meine unmittelbare Obrigkeit war Kaderleiter Storch aus Breitungen. 

Storch zitierte mich in sein Büro und fragte, "Was soll das? Muß das sein? "Du bist doch in der FDJ und weißt, wie Du Dich verhalten sollst! Du gehst jetzt nach Hause und ziehst andere Hosen an. Nach Hause gehst Du in Deinem Schlosseranzug. Ich will DIESE Hosen nicht mehr sehen!" "Die Zeit, die Du zum Umziehen brauchst, arbeitest Du nach!" 
Ich bin mit der Hose in der Hand nach Hause getrabt und auf den Dachboden geklettert. Dort hingen Anzüge von meinem Großvater und meinem Urgroßvater. Ich zog eine Hose von meinem Urgroßvater an. Die war grau-schwarz und längstgestreift. Die Hose hatte Laschen für Hosenträger. Da hängte ich breite Hosenträger vom Urgroßvater dran. Drunter zog ich ein weißes Leinenhemd mit Bündchenkragen. 

Meiner Mutter sagte ich: "Schlaghose ist verboten, sagt Storch". Mutter sagte: "Hör auf damit, Du bekommst wieder Ärger in diesem Aufzug, wir haben doch keine Faschingszeit." Ich maulte trotzig: "Doch, doch, doch" und lief wieder zurück in´s Pressenwerk, wo inzwischen die anderen Lehrlinge an den Fenstern hingen, um mich gedemütigt und ordentlich nach Norm gekleidet zurück zu erwarten. 
Sie johlten hinter dem Werkstattfenster, als sie mich sahen. Storch sah mich mit blitzenden Augen und tiefen Stirnfalten an, die ungeheure Besorgnis ausdrückten und bemerkte, "DAS HAT EIN NACHSPIEL!" 

Das Nachspiel waren Sätze von Storch nach Feierabend, wo er mir erst einmal meine Leistungen vorhielt, welche geeignet wären, den Facharbeiterabschluß nicht zu schaffen. 
Daß ich hier im Volkseigenen Betrieb Pressenwerk herum lief wie ein Kasper, wäre doch nur blanke Provokation und tiefste Mißachtung sozialistischer Verhaltensweisen und sozialistischer Moral. Ich sah an meinen gestreiften Hosen hinunter und bemerkte, die Hose hätte mein Urgroßvater in Hamburg bei einer Thälmann-Versammlung schon angehabt und somit wäre diese auch sozialistisch, was natürlich gelogen war. 

Storch schnaubte vor Haß und Mißmut. "Morgen will ich Dich ordentlich angezogen im Betrieb sehen!" Das Kasperletheater machst du mit mir nicht noch einmal! Mit mir nicht!" 
Am anderen Tag zog ich meinen besten und einzigen Anzug an. Dazu band ich mir noch einen Schlips um. Als mich Storch sah, zerknackte er oben am Fenster seines Kaderleiterbüros einen Bleistift vor Wut. Mitten in der Woche als Lehrling mit Schlips und Kragen herum zu laufen, gab es nicht. Das war eigentlich Privileg der Ingenieure und des Werkleiters samt Kaderleiter. 

Am anderen Tag erschienen zwei weitere Lehrlinge im Anzug und nach einer Woche liefen fast alle so herum. Ich fuhr meine Ausschußproduktion gegen Null und die Zensuren, die mir mein Lehrmeister dafür geben mußte, waren mindestens eine Zwei. Storch sagte nichts mehr, sonder blickte nur finster, sehr finster, wenn er mich sah. Inzwischen hatte ich einen zweiten Anzug, einen schwarzen Anzug. Den brauchte ich für eine Beerdigung. Die Beerdigung meines Vaters. Nach der Beerdigung behielt ich den Anzug noch Wochen bis zur Facharbeiterprüfung an. Doch als ich damit das erste mal im Betrieb erschien, wurde ich sofort zu Storch zitiert, der mich mit wüstem Geschimpfe abkanzelte. 

Ich sagte, "Mein Vater ist gestorben und kann doch da einen schwarzen Anzug anziehen!" 
Storch glaubte das natürlich nicht und schrie bei geöffneter Türe herum, wie impertinent ich ihn hier verarschen will, dass wäre doch "die Spitze der Provokation". Ich wäre ein "Früchtchen, ein ganz mieser Kandidat" und er würde dafür sorgen, daß mir meine Flausen mit Hilfe der sozialistischen Gesetzesmacht schon ausgetrieben würden. "Du landest noch im Jugendwerkhof!" 

Ich sagte, er solle doch meine Mutter anrufen, die bezeugen würde, daß mein Vater gestorben ist. 
"Raus!" brüllte Stoch und: "Dich bring ich nach Untermaßfeld in´s Gefängnis, mit deiner miesen Lügnerei! Von der heutigen Zeitungsschau und vom Zirkel Junger Sozialisten bist Du ausgeschlossen!" 

Eine halbe Stunde später war die montägliche Zeitungsschau, wo das "Neue Deutschland" ritualmäßig nachgebetet wurde, indem die Leitartikel vom Lehrmeister Lieber und von Kaderleiter Storch vorgelesen wurden und die Lehrlinge durch Heben der Hände und nachgesprochene Zitate diesen Schwulst bestätigt mußten. 

Dort hat sich dann herumgesprochen, daß mein Vater wirklich gestorben ist. Storch sprach die folgenden Monate, die ich noch im Betrieb war, kein einziges Wort mehr mit mir. 
Ich war Luft für ihn bis zu meiner Kündigung, die ich ihm Anfang 1965 auf den Tisch legte ... in Schlaghosen natürlich. 
 
 
 

© Richard Hebstreit, 2002
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