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Das Institut
"Am Montag, pünktlich zehn vor Acht beginnt Ihr befristetes Arbeitsverhältnis in unserem Institut. Wir freuen uns auf Sie!" Mit diesen Worten wurde ich vor wenigen Wochen an einem Freitagmittag vom Leiter eines kleinen Instituts für Vergleichende Geophysik in der Nähe Berlins nach kurzem Personalgespräch zur Türe seines Büros komplimentiert. Jetzt habe ich für ein Jahr den tollsten Job in meinem langen und abwechslungsreichen Berufslebens. Für ungefähr Eintausendneunhundert Euro Netto schmeiße ich jeden Tag zu jeder vollen Stunde als "Wissenschaftlicher Mitarbeiter" eine Eisenstange in ein Loch im Garten des Institutsgeländes. Pünktlich zu jeder vollen Stunde nehme ich aus einem kleinen Regal meines kleinen Büros in einem kleinem Seitengebäude eine 12 Millimeter dicke und hundertfünfzig Zentimeter lange blanke Eisenstange, klappe einen Deckel von einem Rohr im Rasen auf und werfe, wenn der Sekundenzeiger auf Zwölf steht, wie gesagt, zu jeder vollen Stunde eine Stange in das Rohr. Die Stange fällt, so versichert man mir, dreißig Meter tief und prallt unten am Ende des Rohres auf eine große Eisenplatte in einem Hohlraum unter der Erde. Es macht leise, aber deutlich vernehmlich unter meinen Füßen >>Bong<<. "Im Institutsgebäude und irgendwo
in Deutschland stehen Geräte, mit denen wird da was gemessen" sagte
mein Chef. Wenn ich die Stange in das Rohr geworfen habe, schau ich hinauf
zum Fenster des Meßlabors, wo mir ein anderer wissenschaftlicher
Mitarbeiter nach ungefähr einer Minute mit dem Symbol des erhobenen
OK-Daumens anzeigt, daß alles geklappt hat.
Der erste Tag ist ein wenig streßig, weil ich Bammel habe, die Wurfzeiten zu verpassen. Am zweiten Tag habe ich schon Routine und am dritten Tag bin ich bereits Profi im Versenken von Eisenstangen. Ein total toller Job. Ich bin happy! Am vierten Tag setzt sich in der Frühstückspause der Leiter des Instituts an meinen Tisch und fragt, wie mir die Arbeit gefällt und ob ich mich schon eingelebt hätte. Ich erwidere, das ich ganz zufrieden bin und mir der Job auch Spaß macht. Daß ich inzwischen anfange, die Stangenwerferei stinknagellangweilig zu finden, äußere ich nicht. Höflich und freundlich verabschiedet sich mein Chef und läßt mich meinen Frühstückskaffe austrinken. Nach ungefähr vierzehn Tagen wird mir dieser Job aber langsam zu komisch. Ich habe keine Chipkarte für die Türen, wie die anderen Mitarbeiter und kann folglich nur die Kantine des Institutes und die Toilette betreten. Die anderen Räume, wo 15 Mitarbeiter, darunter auch einige hübsche junge Frauen arbeiten, kann ich nicht betreten. Dabei hätte ich in meiner Zeit zwischen dem Stangenwerfen gerne mal mit jemanden einen Schwatz gemacht. In der Frühstückspause finde ich keinen Anschluß, da die Mitarbeiter immer komplett an Vierer-Tischen sitzen. Wenn es mir doch einmal gelingt, an einem Tisch der Kollegen Platz zu nehmen, spricht mit mir keiner auch nur einen Satz. Einige Tage später setzt sich der
Institutschef wieder einmal zu mir an den Frühstückstisch und
fragt nach meinem Befinden. "Ich fühle mich nicht ausgelastet" sage
ich wahrheitsgemäß und erwähne, daß ich gern noch
zusätzliche Aufgaben übernehmen würde. Er meint, daß
ich weiter nichts zu tun brauche. Dann bemängelt er, daß ich
mich nicht immer im Büro aufhalte. Meine Angewohnheit, bei Sonnenschein
vor der Türe zu sitzen, wird kritisiert.
Um mir die fast fünfzig Minuten pro Stunde Nichtstun zu erleichtern, schleppe ich von zu Hause einen Laptop in meine neue Arbeitsstelle und spiele dies und das an Computerspielen. Nach einigen Tagen wird mir vom Chef bedeutet, daß ein Computer in diesem Raum nicht gestattet sei, da dadurch Meßdaten verfälscht werden könnten. Ich lasse den Laptop zu Hause und sehe wieder fern, höre Radio und lese. Ich wundere mich höchstens, woher er das mit dem Laptop weiß. Ich habe zu niemandem davon ein Wort gesagt. Und in meinem Büro hat mich auch niemand aufgesucht. Ich schmeiße Eisenstangen in eine Loch, lese, sehe fern und höre Radio. Heute Nacht habe ich im Internet herum
gesurft. Ich konnte sicherlich nicht einschlafen, weil ich tagsüber
nicht ausgelastet bin.
© Richard Hebstreit, 29.01.2002
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