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Das
Pilzgeheimnis
Als ich 1998 aus Thüringen nach Berlin zog, gab es einen wichtigen Grund. Die Arbeit war mir ausgeggangen. Ich hatte eine kleine Einmann- Design- und Werbeagentur, der alle zwei Jahre die Arbeit ausging. Dafür habe ich kontinuierlich selbst gesorgt. 1993 fing ich an Kneipen, Arztpraxen und öffentliche Räume einzurichten. Bald gab es genug davon Kneipen, Arztpraxen und öffentliche Räume. Das bischen was noch zu machen war, erledigten leistungsfähige Agenturen aus Hessen und Oberfranken mit Links und vierzig Fieber. 1995 war nichts mehr einzurichten. Die Investitionen im Osten gingen zurück. Es gab ja genug Kneipen, es gab ja genug Arztpraxen. Also hab ich mich auf Tante Emma-Läden, Autohäuser und Kaufhallen gestürzt, um sie werbemäßig zu unterstützen. Kaum hatte ich einige Kunden an der Angel und das Gewerbe begann zu florieren, gingen meine Kunden wieder Pleite und ich war wieder genau so klug wie vorher. Es gab genug Agenturen, welche den lieben langen Tag nichts anderes gemacht hatten, als die Wettbewerber gekonnt wegzubügeln. Schließendlich hatte ich einige Hunderttausend D-Mark Schulden an der Backe und nur gegen Null DM Einnahmen. Alle wollten mein Geld. Die Steuer, der Steuerberater, die Krankenversicherung, der Designverband, die Künstlersozialkasse die Telekom, Lieferanten ...und und und. Den Finger heben, also Konkurs anmelden konnte ich nicht. Ich hatte noch ein halbes Haus. Das habe ich verkauft und alle hatten sich gefreut. Die Steuer, der Steuerberater, die Krankenversicherung, der Designverband, die Künstlersozialkasse die Telekom, Lieferanten ...und, und, und. Ich hatte mich nicht gefreut.
Ich habe mich geärgert, wie meine damalige Lebensgefährtin, die
sich über mich geärgert hatte, weil ich kein oder kaum Einkommen
mehr hatte.
Meine Lösung war nun, mir neue Arbeit, mir eine neue Partnerin zu suchen. Nur nichts mehr mit Werbung - das war mir zu heiß geworden. Ich saß nun herum und grübelte. Was kannste eigentlich? Ich konnte z. B. Lenkwaffen bauen, das habe ich mal in der DDR gelernt. Kleine Raketen mit einem Draht hintendran oder mit Elektronik. Wo die Dinger einschlugen, gab es Beton- und Menschenmatsch. In Vietnam in Kambodscha und in Afrika. Nikaragua glaube auch. Nur Raketenfabriken gab es auch nicht mehr so viele. Die wurden konversiert und produzieren nun Windräder und Wärmepumpen. Von Windrädern und Wärmepumpen hatte ich aber absolut keine Ahnung. Geldschränke knacken habe ich auch mal gelernt. Sogar außerordentlich effizient. Das wurde noch in keinem Kino- oder Fernsehkrimi gezeigt, wie elegant und leise das geht. Von wegen Stethoskop, wie das bei der Ohlsenbande demonstriert wird. Alles Quatsch, so geht kein Schrank seit der Jahrhundertwende mehr auf. Alles nur Kino. Mit dem Schweißbrenner klappt es auch nicht mehr, seit es feuerhemmende Tresorwände gibt. Auch seit vor dem ersten Weltkrieg. Ein bissel Asbestmatten macht es möglich. Heute bohrt man Tresore mit einem Kernlochbohrer auf. Aber ich hatte keine Ahnung von Alarmanlagen und habe das folgedessen lieber sein gelassen. Den Tresor hätte ich knacken können, die Alarmanlagen nicht. Also mußte was anderes gemacht werden. Qualifiziert für viele andere Sachen bin ich eigentlich. Ich habe neben einigen Berufen z.B. Dreher gelernt und kann das auch ganz gut. Sogar Riesendrehmaschinen bedienen für Panzerdrehtürme, Schiffsgeschütze und Kanonenlafetten. Nur so große Brocken werden heute in Frankreich gedreht. Französisch kann ich nicht. An die paar Großdrehmaschinen, die es noch in Westdeutschland gibt, ließ man keinen Ostdeutschen ran. CNC-Drehen ginge auch nicht, sagte man mir im Arbeitsamt. Absolut aber peinlich wäre, daß ich einen Maschinenbauingenieurabschluß habe. "Stellen sie sich doch mal vor, ihr Meister oder Schichtleiter gibt ihnen eine Anweisung und ist total verunsichert, daß sie das eventuell besser können als er. Da werden sie dann gemobbt oder der Meister.......sowas geht auch nicht!" Berufsberater könnte ich machen, dachte ich dann. Das kann ich auch perfekt nach acht Jahren Praxis in dieser Branche. Doch die Genossen im Arbeitsamt in B.S. konnten mich schon zu DDR Zeiten nicht leiden, weil ich den Katholiken Studienplätze besorgt hatte und dagegen ihren Söhnchen Berufsoffiziersstudienplätze aufschwatzte. Das haben die mir nicht vergessen. Der neue Amtsleiter aus dem Westen sagte auch, ich hätte das alles eh verlernt und es wäre zwecklos und hat lieber Beamte mit roten Nasen aus einem Weinprüfinstitut aus dem Rheinland eingestellt weil sie Beamtenmäßig richtig qualifiziert wären. Na gut, einen pädagogischen Abschluß hatte ich ja auch - eventuell gibt es mal einen Job als Berufschullehrer. Denkste- das wurde auch nichts. Ich hatte dummerweise schon soviel Jahre im öffentlichen Dienst, das ich nicht mehr mit einem Einstiegsgehalt eingestellt werden durfte. Da nimmt man lieber vom fetten Pädagogenüberhang einen Referendar. Es hätte ja noch geklappt, wenn ich das gleiche Parteibuch, CDU wie der Amtsleiter gehabt hätte. Nur ich war rosarot und hatte somit eine falsche Beziehungsfarbe. Ich bekam dann auch eine rote Nase, weil ich zum Überlegen, was ich nun mache, Bier, Wein und Nordhäuser Doppelkorn in mich rein soff. Da das auch keine Lösung brachte, machte ich irgendetwas. Ich verkaufte für eine amerikanische Telefongesellschaft Telfonvolumen. Das klappte Anfangs sogar sehr gut. Über das Internet schaufelte ich tausende von Kunden weltweit in die Kundendatenbank der Telefongesellschaft. Als ich und meine Kollegen genug Kunden gesammelt hatten, benannten die einfach ihr Firmchen um, kassierten selber die komplette Provision und schmissen uns raus. Ich hab mal ausgerechnet, dass man an mir heute noch 1000 Dollar am Tag verdient. Ein feiner Schnitt. Hut ab, vor so viel Kreativität. Na wenigstens hatte ich dabei
gelernt, wie das Internet funktioniert. Ich konnte btx, html, Javascript,
animierte gif, konnte Bilderchen produzieren, Datenbankanbindungen machen
und überhaupt schnelle Homepages bauen.
Was blieb da übrig -
Berlin.
Als ich meinen Schein als Online-Grafiker in der Tasche hatte legte ich los und jobbte als freiberuflicher EDV-Dozent in verschiedenen Berliner Bildungseinrichtungen. Ich bildete Schmalspur - HTML und -Multimediadesigner aus. Es waren tausende, welche nicht nur hier in Berlin ausgebildet wurden und ich konnte mir nach kurzer Zeit ausrechenen, das die jungen Leute so um die Dreißig mir in ein zwei Jahren meine Lehr-Jobs weg nehmen. Warum. Ganz einfach. Ich bin um die Fünfzig und so einen alten Knochen nimmt man nicht für einen Job, wenn genug jüngere dafür bereit stehen. Diese "Bereitstehenden" bildete ich aus und mit jeder Abschlußprüfung hatte ich mir in Berlin statistisch gesehen fast monatlich selber so 15 bis 25 Konkurrenten selber geschaffen. Zuerst gingen die Stundenhonorare
in den Keller, weil sofort für weniger Honorar ein qualifizierter
Mensch auf der Matte stand. Dann nahmen, wie mathematisch exakt vorher
vorausberechnet, die Jobs ab.
So, was mach ich nun?
Wenn die künstlerische Handschrift zu erkennen ist, oder auch nicht, schlägt der eine oder andere Kunde auch zu. Es bleibt mit Sicherheit nur ein Zubrot. Ein Zubrot, zur Dozententätigkeit, welche inzwischen zu Brotkrümeln mutiert ist. Ein Zubrot zu Grafikiker- und HTML-Jobs, Krümel zu Contentproduktionen, die inzwischen auch schnon nur noch krümeln. Wie man es auch dreht und
wendet, die Arbeit ist für mich Mitte Fünfzig zu Ende. Ich mache
nun allen möglichen Blödsinn, um nicht aus der Gesellschaft heraus
katapultiert zu werden. Ich schaufle kostenlosen Content ins Internet,
obwohl ich weis, dass ich damit systematisch Arbeitsplätze vernichte.
Ich gründete eine Lesebühne, um anderen Kneipen im Kiez das Wasser
zu entziehen......
Mal sehen....oder ich züchte
wieder Pilze und fresse sie aber diesmal alle alleine auf.
Die Idee war von Thea. Thea hatte keinen Garten, kein Grundstück und absolut keine Möglichkeiten zu Ernten, was sie mal angepflanzt hatte. Die DDR in den späten Siebzigern und Achtzigern hatte massive Versorgungsprobleme natürlich auch mit Gemüse und mit Obst. Heute, wo man sich im nächsten Supermarkt um die Ecke alle Obstsorten der Welt zu jeder Jahreszeit zu Gemüte führen kann, gibt es kaum solche verrückten Aktionen, von denen ich hier berichte: Thea saß eines frühen Frühlingstages auf der Bank am Schanzbaum und soff die sanfte Gegend der Kleinstadtwiesen und -felder in sich rein. Ihr Blick ging auf einige Hektar Wintergetreide, welches kniehoch um einige Hochspannungsmasten dem Sommer entgegen reifen sollte. Die Traktoren hatten um die Hochspannungsmasten unbearbeitete Inseln des Feldes übrig gelassen und Thea kam bei dieser Betrachtung auf die Idee, dieses Stückchen Feld in einen Bearbeitungszustand, der ihr nützen konnte zu versetzen. Sie wollte sich gesund ernähren und dazu gehört nunmal Gemüse und Obst. Möglichst viel und möglichst kostenminimierend. Wenige Tage darauf schnappte sich Thea einen Spaten, einen Rechen und einige Tüten Bohnen für wenige DDR Mark. Sie buddelte den Boden um, säte erstmal verschiedene Sorten Bohnen aus und verschwand wieder. In der folgenden Zeit kamen Erbsen in ein vergessenes Stück Feld, welches vom Spaziergänger-Publikum wenig oder selten frequentiert wurde. Bis Ende Mai hatte Thea umfangreich Saatgut und Pflanzen in fremder Leute Erde auf Feldern, Waldrändern, Waldlichtungen und Ackerrainen rund um Salzungen gepflanzt, welche eine zwei Tonnen Ernte erahnen ließen. Fast wurde es eine Manie. Thea pflanzte Erdbeeren, Brombeerreisige, Radieschen, alle möglichen Kohlsorten, Salat, Feldsalat, Rapunzel. Von einem Gärtner erbettelte sie sich krumme unverkäufliche Pflaumenbäumchen, Kirschen- und Apfelbäumchen. Die Ernte war so riesig, daß Thea davon abgeben konnte, ja mußte. Thea wurde mit ihren Obstlieferungen an Freunde und Bekannte ganz schön beliebt. Zu dieser Zeit, als Thea pflanzte und erntete hatte ich ein kleines Problem. Mein Problem war mein Appetit auf Pilze, welche es in der DDR damals kaum gab, wenn man Lust auf Pilze hatte. Von Verwandten aus dem Westen gab es mal ab und zu ein Büchschen Champignon übelster Qualität. Im DDR-Handel waren frische Pilze fast ein Fremdwort. Was blieb einem da übrig - man mußte selber in die Thüringer Wälder ausschwärmen, um diesen Gelüsten Tribut zu zollen. Ich hörte von Theas Aktionen und gelangte zu der Idee, Theas Aktivitäten abzukupfern. Ich brauchte nur Pilze irgendwo hin zu säen und hätte das Problem gelöst dachte ich. Eventuell werde ich damit ein wenig wohlhabend.... Mit Braunkappen oder Riesenträuschlingen fing ich an, die ich erst einmal im eigenen Garten in einem Mistbeet züchtete. Die Pilzbrut gab es für ein paar Mark bei Christensen in Erfurt. Die Ernte war sehr mager. Anschließend wagte ich Versuche mit Austernseitlingen. Ich besorgte mir zwanzig Dekamon Sprengstoffsäcke und stopfte in die Säcke Stroh. Dann wurden die strohgestopften Säcke für 14 Tage unter Wasser gesetzt. Nachdem wurde das Wasser abgelassen und Löcher in die Kunststoffsäcke geschnitten und diese Löcher wurden mit Pilzbrut beimpft. Nach zwei Monaten, im Oktober war die Pilzbrut durch das Stroh gewachsen und ich konnte die Kunststoffhaut entfernen und die Strohballen in eine schattige Ecke stellen. Kurz vor Weihnachten ging es los. Die Austernseitlinge wuchsen kiloweise aus dem Stroh. Jeden Tage musste ich ernten und wir hatten erstmals bis Ende Januar Pilze, Pilze, bis wir das Zeug nicht mehr sehen konnten. Den Rest nahm mir ein Kneiper in Oberhof für 200 Mark ab und ich sinnierte, wie ich die Pilzernte im nächsten Jahr erhöhen konnte. Theas Methode war hier die Lösung. Die Pilzbrut aus meinen Strohballen stopfte ich im kommenden Sommerausklank in alte vergammelte Strohmieten, welche damals hunderteweis in Thüringen und der Rhön herum standen. Mit meinem gelben Skoda schlich ich durch die Gegend oft mit einigen Kilo Pilzbrut im Kofferraum. Immer an der Südseite der Strohmieten impfte ich sorgfältig und wenn eine kranke Buche in der Nähe stand, so bekam sie auch ein wenig Pilzbrut erst einmal zu Testzwecken ab. Um Weihnachten herum mußte ich krank feiern und Urlaub nehmen, um mit der Pilzernte hinterher zu kommen. Es war der blanke Wahnsinn, was ich da mit meiner Pilzimpfmethode angerichtet hatte. Tagelang verstaute ich Austernseitlinge in den kleinen Kofferraum des Skodas und auf die Rücksitze. Mit meiner Ernte klapperte ich Kneipen und Restaurants in der Meininger, Suhler, Gothaaer und Oberhofer Gegend ab. Ab und zu waren meine Strohmieten zwar geplündert, aber da ich so viele beimpft hatte, war dieser Schwund erträglich. Im darauf folgenden Jahr
war die Ernte praktisch Null. Es klappte nicht mehr. Entweder das Wetter
hat nicht mitgespielt, oder die Pilzbrut war krank. Meine "Pilz-Kunden"
riefen oft an, nur ich konnte nicht mehr liefern. Meine illegale Pilzfarm
war eingegangen. Zwei Jahre später habe ich es noch einmal versucht,
es klappte nicht mehr.
Wer mal nach Berlin kommt und sieht irgendwo in einem Park zufällig Radieschen - stehen lassen, es sind meine! Kulturanleitung
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