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"Die Taucher" 
(Salzunger Unterwelten IV)

1960 im Herbst finde ich mich wieder als Dreherlehrling im VEB Pressenwerk Bad Salzungen. Eigentlich hatte ich hier grosses Glück gehabt. Mit meinem absolut miesen Zeugnis der achten Klasse hätte ich normalerweise diese Lehrstelle nicht bekommen.

Aber es war damals normalerweise keine normale Zeit. Die Grenze, besonders nach Westberlin war noch offen und es gab nicht wenige Salzunger Familien, die ohne Sack und Pack in den den englischen, amerikanischen oder französischen Sektor mit der S-Bahn fuhren und sich als Flüchtlinge bei den Berliner Behörden meldeten.

Und so verduftete eben damals eine Salzunger Familie mit einem Sohn, der schon eine Lehrstelle als Dreher in der Tasche hatte ab nach Westberlin. Meine Eltern bekamen davon Wind und lieferten mich als Ersatzlehrling bei meinen zukünftigen skeptisch dreinblickenden Lehrmeister Lieber ab.

Ohne es zu ahnen, war ich in einen Job gerutscht, der damals auf mich passte wie der Deckel auf einen Topf. Man musste gut kucken können. Ansonsten arbeitete man nicht körperlich sehr anstrengend wie in manchen anderen Lehrberufen als Bauarbeiter oder als Maler. Die Drehmaschine arbeitete und man musste nur flink neue Werkstücke in die Maschine einspannen. Das technische Verständnis hatte ich irgendwie und nur das Stehen den lieben langen Tag an der Maschine fiel mir ein wenig schwer. 

Ich behalf mich aber hier und bastelte mir zu der jeweiligen Maschine immer eine entsprechende Sitzgelegenheit. So hatte ich schnell bei meinen Lehrkameraden den Spitznamen "Der Sitzer" weg. Wo andere stundenlang vor ihrer Maschine standen, sass ich. Da half auch der Protest meines Meisters wenig. Kaum drehte er mir den Rücken, hockte ich wieder vor der Maschine, weil es mir absolut sinnlos erschien, zu sitzen, wo man doch auch stehen kann.

So körperlich einigermassen unausgelastet hatte ich Kraft und Muße, um nach Feierabend ein sportliches abenteuerliches Hobby zu frönen. Die Motivation für das Hobby Tauchsport holte ich mir aus dem Westfernsehen. Hier gab es die Filme von Hans Hass über seine weltweiten Tauchexkursionen. Wie konnte es auch anders sein, die Fische und die Natur interessierten mich hier weniger. Den Aspekt der Schatzsuche unter Wasser fand ich faszinös.

Das Problem in Bad Salzungen nun Taucher zu werden war aber ein echtes Problem. Niemand beschäftigte sich damit. Literatur über das Tauchen gab es damals in der Stadtbibliothek noch wenig. Lediglich bei der paramilitärischen staatlichen Jugendorganisation Gesellschaft für Sport und Technik (GST) gab es die ersten Anfänge einer Taucherausbildung. Nur halt in Erfurt oder in Berlin oder an der Ostsee in Greifswald Wieck. In Bad Salzungen wurde ich mit offenen Armen mit meinem Anliegen empfangen, Taucher zu werden.

Die GST war eine Organisation, welche wesentlich die vormilitärische Ausbildung und militärische Nachwuchsgewinnung in der damaligen DDR organisierte. Sie hatte »einen festen Platz im System der Wehrerziehung« und war - als »Schule des Soldaten von morgen« - »nach den Vorstellungen der Armeeführung unverzichtbar für die Vorbereitung der Jugendlichen auf den Militärdienst«. Als  Sportschützen, Segelflieger, Fallschirmspringer oder Tauchsportler  fanden Tausende DDR-Bürger aller Altersstufen in der GST so »paramilitärische« Hobbys wie Modellbau, Motorsport oder Amateurfunk. 

Da inzwischen auch weitere Jugendliche dort auf einen Beitrag in der Ortspresse "Freies Wort" über die GST-Taucher vorsprachen, wurde in Bad Salzungen die erste Tauchsportgruppe gegründet. Ein Ingenieur, Claus Gulba aus dem Kabelwerk Vacha wurde unser erster Tauchlehrer. Der hatte schon zwei bis drei Jahre vor uns privat angefangen zu tauchen. Erst mit Brille, Schnorchel und Flossen. Dann mit einem einstufigem Pressluftgerät, welches die Armee, die Feuerwehr und das Rote Kreuz schon benutzten. Sogar ein Sauerstoff-Kreislaufgerät, welches mit irgendwelchen Kalkpatronen und einer ein-Liter Sauerstoffflasche funktionierte, hatte er sich über ein Inserat besorgt.

Die mordsgefährliche "Sauerstoff-Taucherei"  hatte ihren Ursprung in Rettungsgeräten der ehemaligen Wehrmacht und in einem Forschungsthema "Atemkalk", das 1957 an den damaligen VEB Chemiewerk Greiz-Dölau vergeben wurde. Die Aufgabe bestand darin, einen Atemkalk aus einheimischen Rohstoffen zu entwickeln, der für Kreislauftauchgeräte der NVA und für Narkosezwecke in der Medizin eingesetzt werden konnte, um "störungsfrei von Westimporten" (Dräger-Kalk, Merk-Kalk) zu werden. Der Forschungsgruppe unter der Leitung des technischen- und Forschungsleiters Dr.Bach gehörten die Chemieingenieure Lore Stiehler und Wolfgang Weinreich an.

Den fachlichen Arbeiten zur Auffindung geeigneten Kalkes in der DDR, der Glühung des Kalkes und der Verarbeitung zum typischen Atemkalk, wie er noch heute in der Medizintechnik verwendet wird, folgten sehr schnell praktische Versuche im Hallenbad Greiz und in den Gewässern um Greiz, so z.B. der Koberbachtalsperre, mit dem Tauchgerät MEDI-NIXE. Die Tauchgeräte dieses Typs ließen eine Tauchtiefe von bis zu 7m zu und beruhten auf dem Atemkreislaufprinzip, bei dem zur Bindung des ausgeatmeten Kohlendioxyds der Atemkalk des Chemiewerks Greiz-Dölau benötigt wurde. 

In wesentlich größerem Stil liefen parallel dazu Tauchversuche bei der NVA vor der Insel Hiddensee und im Hallenbad Stralsund. Ende 1960 bekamen wir die ersten Pressluftgeräte zu Gesicht und Anfang 1961 begann unsere Ausbildung in einem GST-Binnenausbildungszentrum für Seesport in der eiskalten Lütsche-Talsperre bei Oberhof.

So einmal im Monat ging es am Wochenende nach Oberhof, wo uns an jedem Morgen eine Bootsmannspfeife zum maritimen Kutterrudern Rudern vor dem Frühstück weckte. Das ganze militärische Brimbamborium mit Marineuniformen, Antreten, Apell und sinnlosem Marschieren im Thüringer Wald steckten wir locker weg, mit der Aussicht richtige tolle Taucher zu werden.

Nicht schlecht staunte mancher einsame Wanderer, wenn es auf einmal am Ufer der Lütsche-Talsperre gluckerte und materialische Gestalten in komischen Gummi-Anzügen und Bleigürteln aus dem finsteren Wasser auftauchten. Einer alarmierte sogar einmal die Polizei, welche selber verdutzt war, Taucher im tiefsten Thüringer Wald vorzufinden. Unsere Ausbilder, mit weissen Kapitänsmützen der "Volksmarine" und vielen Winkeln an den Ärmeln erläuterten dann geheimnisvoll den grün gekleideten Polizisten aus Suhl, was wir für eine wichtige Truppe sind. Quasi die zukünftigen Kampftaucher der Nationalen Volksarmee.

Im Mai 1991 gab es meinen ersten "wichtigen" Taucheinsatz. Eine Wasserleiche war im Salzunger See aufgetaucht und wieder abgetaucht. Die Salzunger Feuerwehr hatte damals noch kein Tauchgerät und ich und ein Kamerad wurden ganz wichtig mit unserer Ausrüstung und Tatütata zum Salzunger Burgsee gekarrt. Wir sollten den leblosen Körper, der ahrscheinlich über den Winter im Wasser lag, bergen. 

Als wir ins Wasser stiegen, riefen Leute am Ufer aufgeregt, das die Leiche einige Meter neben unserer Einstiegsstelle aufgetaucht ist. Als wir dort hinschwammen wurde uns speiübel. Aufgedunsen und angeknabbert von den Fischen trieb da ein Mensch im Schwarz-dunkelgrünem Lodenmantel im Wasser. Als wir mit abgewendeten Gesicht tapfer die Leiche greifen wollten, lösten sich Teile. Gräßlich das alles und mich schaudert heute noch davon. Bei der Klinik Schnurrer wurde dann eine Gartentüre ausgehangen und die Kollegen von der Feuerwehr zogen die Leiche auf der Türe aus dem Wasser, weil sie sonst auseinander gefallen wäre. ich sah da schon nicht mehr hin.

Das war so die erste Begegnung mit der Salzunger Unterwelt unter Wasser. Ich bin dann nie gerne mit solchen Eindrücken gesegnet im Salzunger Burgsee getaucht. Zum einen war der See oft trübe wie eine matschige Herbstpfütze und am westlichem Burgseefelsen ging es  senkrecht ca. 30 Meter in die Tiefe. Mit unserer miesen Ausrüstung sind wir dort damals kaum mehr als 10 Meter tief getaucht. Es war dort rattendunkel und unheimlich. Auf der Ostseite war es flacher aber schlammig. Und da damals auch die Abwässer der Schlachthofes in den See mündeten, schwamm auch mal ein Kuhauge und Gedärmefetzen im Wasser herum. Brrrrrrrrrrrrrrrrr! Auch aus dem Kurhaus plätscherte das Abwaschwasser samt Nudelresten der bekannten Spirellis mit Tomatensauce in den See und wenn die Fäkaliengrube randvoll war auch mal einige Hundert Liter Kurgastpisse.

Die Begeisterung, den Salzunger Silberschatz im See zu suchen lies somit schnell nach. 

Anders war es da schon mit dem Buchensee bei Wildprechtroda. Der war tief, klar und nicht ganz so unheimlich. Es gab da eine Sage, dass eine vollbepackte Postkutsche im Buchensee verschwand. Logisch, das wir nach Kutschenteilen tauchten, da ja an jeder Sage irgendwas wahres ist. Wir fanden dann auch was. Wagenräder, ein Wagengestell, nur das war nicht von einer Postkutsche, sondern von einem Jauchewagen, den böse Buben von einem nahegelegenen LPG-Feld in den Buchensee schoben. Als wir dann noch zwei verrostete Panzerfäuste fanden, die wir ordnungsgemäss der Polizei meldeten, wurde der See zeitweise für unsere Tauchgänge gesperrt. Künftig wurde dann nie wieder was gemeldet - denn Melden brachte Tauchsperre.

Aber die Fische guckten schon mal komisch. Sowas wie uns hatten die noch nicht gesehen. Und da ein Karpfen prinzipiell gut schmeckt, wanderte er unter Wasser in ein Nylon Einkaufsnetz und dieses so gefüllte Einkaufsnetz wurde natürlich nicht beim Auftauchen stolz präsentiert. Die immer anwesenden Zaungäste unserer Tauchgänge konnten ja da vermuten, das wir dem DAV, dem Anglerverband wichtige Beutefische vorenthielten. Fische, welche  weniger flink waren, erwischten wir mit einer simplen Bratengabel, welche an einen Besenstil gebunden wurde. So gab es ab und oft nach dem Tauchgang Bratfsch oder "Karpfen blau". Des war weil verboten, besonders lecker!

So mancher aus meiner Tauchgruppe wurde ein richtiger Tauchfan. Zwei Brüder wurden regelrechte Tauchfanatiker. Das ging soweit, das einer der beiden eine Grippe hatte und zum Inhalieren in das Kreiskrankenhaus geschickt wurde. Dort wartete der Bruder ohne Grippe mit Moped und Tauchgerät und fuhr nach der medizinischen Behandlung schnurstracks im Januar 1963 zum Buchensee, klopften ein Loch in das Eis und badeten die Tauchgeräte und sich selber. Schon möglich, das diese rigorose Nachbehandlung die Grippe stoppte.
 

Meine Ambitionen waren weiter die versunkenen Schätze und dazu brauchte ich Licht, denn in den Thüringer Seen war es num mal ab 3 Meter Tiefe dunkel. Die einfachste Methode war eine Stabtaschenlampe, welche in einen Fahradschlauch gestopft wurde. Danach wurde als technische Steigerung ein Motorrad-Akku in eine verschraubbare Blechbüchse verbracht. In GUMPELSTADT gab es eine Auto-Lichtreflektoren Fabrik für die Wartburgs von Eisenach. Daraus haben wir feine  Unterwasser Reflektoren gebaut. Mit den Erfahrungen dieser Unterwasser Beleuchtungstechnik dauerte es nicht lange und wir bauten unsere erste Torpille. Das war ein Rohr, in welche fast wasserdicht zwei Akkus plaziert wurden. Am Ende des Rohres steckte ein kleiner Anlasser-Elektromotor und ein riesiger Holzpropeller kurbelte hinter einem Stück Draht-Kartoffelkorb. 

Damit stiegen wir in´s Wasser und starteten unser Süßwasser Torpedo. An zwei Griffen festgehalten schnurrten wir mit dem Ding in die Tiefen der Bernshäuser Kutte und hatten staunende Zuschauer. Mit den Beinen mussten wir heftig dagegen strampeln, weil uns das Gerät versuchte um die eigene Längsachse zu drehen. Nur nach weniger als 10 Minuten war aber der Saft alle, weil der Elektromotor so viel Strom verbrauchte. Auch soffen die Torpillen ständig ab.

Schließendlich wurden private Torpillen schlicht und einfach verboten, weil man ja damit durch die Grenzgewässer schneller als ohne Spitzentechnik nach dem Westen abhauen konnte. Das taten dann aber auch 2 Mitglieder der Salzunger Tauchsportgruppe Anfang der Siebziger Jahre. Die kletterten in Dorndorf in die Werra ohne Torpille und tauchten still und leise in Vacha unter dem Sperrgitter der Werra durch. In Phillipstal meldeten die sich bei den erstaunten westdeutschen Behörden. 

Ich war inzwischen ab 1965 aber schon in Halle/Leuna und bin dort noch ein wenig in den trüben Gewässern Sachsen-Anhalts getaucht. Die Aussicht, mal in wärmere Gewässer an die Adria zu kommen war so gut wie aussichtslos und hatte aus allen möglichen Zufällen auch keine Möglichkeit im schwarzen Meer, dem DDR- Tauchparadies zu tauchen. Da es mir nicht möglich war, ein Neopren Anzug zu ergattern, mit dem man in den kalten mitteldeutschen Gewässern oder in der Ostsee weniger fror, ging die Tauchbegeisterung dem Ende entgegen. Auch wurden inzwischen Tauchgeräte wie Waffen behandelt. Die Geräte durften nicht mehr zu Hause privat deponiert werden, sondern wanderten nach dem Tauchgang unter Verschluß bei der GST. Es gab Bücher und Hefte, in denen man jeden Tauchgang mit dem Presslustgerät angeblich aus Sicherheitsgründen dokumentieren musste. Diesen Krampf habe ich nicht mehr mitgemacht und später nur noch im Urlaub das ABC Gerät, das war Brille, Schnorchel und flossen benutzt, besonders wenn ich Appetit auf Fisch hatte. 
 
 
 
 

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