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...tröpfchen

Ich sitz grübelnd mit mir allein am Abend im Büro meiner Einmann-Werbeagentur in der kleinen Stadt und sinniere über den vergangenen Tag. Was hat er gebracht? Nix hat er gebracht. Ich bekam einen Auftrag für 1000 Visitenkarten, wozu ich eine halbe Stunde mit dem Kunden palavern mußte, eine geschlagene Stunde hab ich am PC verbracht, damit die Visitenkarten so etwas von toll werden, daß ich von dem Kunden späterhin auch mal fettere Aufträge bekomme. Fünfundzwanzig Kilometer bin ich deswegen in die Druckerei gefahren. Da waren wieder drei Stunden weg. Zwei Stunden Fahrt durch die Rhön und eine Stunde Quatschen mit dem Drucker über die schlechten Geschäfte. Am späten Nachmittag eine Präsentation für ein Hackfleischdosenetikett mit nochmals drei Stunden Zeitverschwendung in einem Dorf. Mein Etikett hat dem Fleischer in der Wurzel nicht gefallen, hat er gesagt. Nicht gesagt hat er mir, daß ich ihm zu teuer bin, und seine Tochter nun die Etiketten selber am Computer fertigt. 

Alles in allem war dieser Tag für die Katz. Ich werfe mir eine grüne Jacke über, schnappe meinen rabenschwarzen Dackel-Spaniel-Mischlingshund Schnuffi und lauf den halben Kilometer zur einer Kneipe. "Ein Bier ein Korn", sag ich zur Elli, und Elli sagt, "es gibt jetzt wieder Rhöntropfen". Rhöntropfen war ein süßer Kräuterlikör aus Meiningen. Der war zu DDR-Zeit Bückware. Nach der Wende dauerte es ganze drei Jahre, bis die Rhöntröpfchen wieder in dieser Kneipe den angestammten Platz im Schnapsregal fanden. 
"Gut", sage ich, "trinke ich auch noch einen Rhöntropfen". Elli meint, "die Rhöntropfen werden jetzt wieder ganz toll getrunken". Ich nicke und sehe, in der Flasche steht der Flüssigkeitsstand noch hoch über den Etikett. Denke, ich bin der Zweite, der Rhöntropfen wieder nach drei Jahren kostet. Der Koster oder wie es heute heißt, die Kosterin vor mir, war Elli. 
Schnuffi wedelt freundlich mit dem Schwanz, als ich die Rhöntröpfchen schlürfe. Schnuffi freut sich, wenn ich ihn mit in die Kneipe nehme. Elli kommt sicher gleich mit Essenresten oder Keksen. Das weiß der Schnuffi schon. Der zieht immer an der Leine, wenn es Richtung Kneipe geht. Seine Wege lohnen sich für ihn, immer gibt es irgendwo was. Einen Wurstzipfel, Kekse, ein paar Nudeln mit Soße. 

Mir selbst brachte der heutige Tag rein gar nichts Vergleichbares, um vor Freude mit dem Schwanz zu wedeln. Keine Wurstzipfel, keine Kekse, keine Nudeln mit Soße. Die hab ich mir heute nicht verdient. Dieser Tag war, wie viele hier in der Kleinstadt ein Tag mit einem Minuszeichen am Ende, ein Minus-Tag: Strom, Sprit, Zeit, alles für die Katz. Eigentlich kann ich mir das Bier und die zwei Schnäpse gar nicht leisten. Und die Zigaretten, die ich nachher aus dem Automaten ziehe, schon gar nicht. 

Elli kommt mit Wurstzipfel, Keksen, und ein paar Nudeln mit Soße. "Hallo", sage ich, "gleich alles und soviel auf einmal? Was ist los heute, warum bist Du so spendabel? "Der arme Hund", sagt Elli, "der kommt doch kaum raus bei dir! Immer hängst du im Büro herum oder bei deinen komischen Kunden! Komm doch wieder mal bei mir vorbei", sagt Elli und schmollt mit dem Mund. dabei krault sie den Schnuffi, der die guten Gaben blitzschnell runter geschlungen hat. Schnuffi legt sich sogar unterwürfig auf den Rücken und läßt sich den Bauch kraulen. "Guck doch mal", sagt die schwarzhaarige Elli, "wie lieb der ist". Ich denke an mein Spritstand im Tank und rechne mir aus, falls ich zu Elli fahre sollte, sie zu besuchen, würde ich damit nicht wieder nach Hause kommen. Kein Geld für eine neue Tankfüllung, auch muß ich ja das Bier, den Schnaps und die Zigaretten noch bezahlen. 

Ich knalle das Geld auf den Tresen, da der Wirt schon arglistig schaut. Normalerweise hab ich bei Elli unrückzahlbaren Kredit. Elli bescheißt ihn ein bissel bei der Abrechnung meinetwegen. Die Elli mag mich. Ich mag sie auch. 
Aber weil Elli zu viele wie mich mag, mag ich die Elli nicht gar zu sehr. Ich hätte die Elli eben nicht alleine. Und wer will das schon. Schnuffi würde das sicher nichts ausmachen, aber ich habe da eben meine Probleme. 
Ich sage zu Elli: "Kannst ja mal bei mir vorbei kommen, wenn ihr hier dicht macht". Zwei Stunden später steht Elli frisch gekämmt in meinem Büro, wo ich zu später Stunde noch Entwürfe für die folgenden Tage mache, für ebenso windige Kunden, wie die heutigen. 
"Du arbeitest noch?" fragt Elli, "du mußt doch steinreich sein bei dem, was du so arbeitest. Immer, wenn ich nach Hause zum Bahnhof gehe, brennt bei dir im Büro noch Licht. Und das ist immer weit nach Mitternacht". 

Ich nehme Elli an der Hand und gehe durch eine Schiebetür in mein Wohnzimmer, das seit einem Jahre mein Beratungsraum für Kunden ist. In einem Alkoven steht eine gut gepolsterte Liegewiese. Ich bugsiere Elli zu der Liegewiese und Elli holt dabei aus einer Plastetüte eine angefangene Flasche Rhöntropfen. 

Wir packen uns auf dieses praktische Möbelstück, qualmen ein paar Zigaretten, trinken Rhöntropfen aus der Flasche und quatschen und lieben uns. Ich gebe der Elli meine Tropfen und Elli gibt mir ihre Tropfen. Sie gibt mehr, als ich ihr geben kann. Dabei zappelt sie schön und heftig, verwuschelt ihre glänzenden schwarzen Haare und sieht mich hungrig zwischendurch mit ihren dunklen Augen an, wenn es ihr kommt. Dabei kreischt sie sehr laut und nebenan im Büro heult der Schnuffi, der wahrscheinlich an Kekse und Nudeln mit Soße denkt. 

Als wir so fertig sind, hol ich Schnuffi mit auf die Liegewiese und Schnuffi freut sich mehr als ich. "Der ist ja allerliebst", sagt Elli, "den könnte ich jeden Tag knuddeln". Das kauf ich ihr unbesehen ab, denke ich. Mit dem Hund könnte die das - aber nicht mit mir. Elli hat noch mit Ende Dreißig so fast um die "90-60-90" und ist nun mal ein Magnet für Männer im Umkreis von zwanzig Kilometern. Wer die sieht, will die haben und Elli kann bei vielen nicht nein sagen. Schade, denke ich, was soll ich damit. 

Inzwischen ist die Flasche Rhöntropfen zu Dreiviertel leer und wir beide sind mittelprächtig angeheitert von dem süß-herben Magenbitter. Ehe wir fix und matt einschlafen wollen, huscht Elli noch einmal ins Bad, Tröpfchen abwischen und verschmiertes Make-up entfernen. Ich stöbere ein wenig in der Tageszeitung herum und entdecke einen klitzekleinen Artikel, wo geschrieben steht, daß die Stadt Produkte für das Stadtmarketing sucht. In meiner Stadt gibt es kein einziges typisches Andenken, irgend so einen kleinen Schnickschnack für Touristen, Badegäste und für die Bürger, zum Mitnehmen und Verschenken.
 
Und da kommt mir in diesem Moment die Idee: Man bräuchte was mit Salz. Heißt doch Salzungen, diese Stadt - nur die Sole, die für Bäder und Inhalationen genommen wird, kann man nicht als Andenken in Flaschen abfüllen, das wäre zu profan. Ich sehe auf die fast leere Schnapsflasche mit den Rhöntropfen und habe damit schon die Idee in mir konkret geboren: Ein Magenbitter mit Salz. Das ist es! Das braucht man! Das mach ich! Morgen - ach nein, heute schon. 

Als Elli halbtot und äußerst müde aus dem Bad kommt, bin ich hellwach. Jetzt kommt Elli nicht zum Einschlafen. Begeistert erzähle ich ihr meine kreative Idee, wäge dies und das ab und bekomme mit meinen Gequatsche und Gefummle die Elli wieder munter zu einem weiteren Tröpfchenaustausch. Elli gehört ja zu dem Typ von Frauen, die nichts abschlagen können, und so bricht der neue Tag an, den der Schnuffi vor der Liegewiese mit wedelnden Schwanz bewacht. Was der Schnuffi kann, kann ich schon nicht mehr und schlafe endlich ein. 

Gegen Mittag werde ich wach von einem Kundenanruf. Elli ist fort und neben der Kaffeemaschine in der Küche liegt ein Zettel mit dem Satz "Viel Erfolg mit Deinen Salztröpfchen, ich hab Dich lieb, dein Tröpfchendieb!" 

Nach einer Stunde bin ich in der ältesten Salzunger Apotheke, und erzähle der Chefin meine Idee. Wir kreieren zusammen einen Likör: "Salzunger Salztröpfchen". Ich mach das Werbekonzept und das Design für die Flasche. Sie macht die Rezeptur, die Produktion und den Vertrieb. Mit dem Produkt hauen wir dann auf den Schlamm. 
Bringt nicht viel Umsatz, ist zu sehr ein Nischenprodukt und nur in Bad Salzungen absetzbar - ist ihr Gegenargument und ich fliege nach einer halben Stunde im hohen Bogen raus. 

In der nächsten Apotheke gibt es den gleichen Dämpfer und die dritte Apotheke hat überhaupt keine Zeit für so einen Quatsch. Salztröpfchen - ob ich den keine anderen Sorgen hätte, einen Likör mit Salz gibt es nicht. 

Ich fahre nach Hause und trinke die letzten Tröpfchen aus der Flasche Rhöntropfen. Ich rufe die Elli an und klage mein Leid. Keine Sau will meine tolle Idee unterstützen. Die Elli sagt am Telefon, "fahr doch mal da und da hin, da hat eine neue Apotheke aufgemacht, ich gehe da sowieso immer hin, weil die dort viel netter sind." 

Eine Stunde später bin ich dort. Ein fast pensionierter älterer Herr, der seinen Kindern gerade eine Apotheke gebaut hat, schleppt mich sofort nach dem ersten Satz in sein Labor. Er schüttet in ein Becherglas ein bissel neunundneunzigprozentigen Alkohol, geht zur Wasserleitung und füllt das Glas auf. Wenige Minuten später schüttet er aus allen möglichen Kräuteringredienzien seiner Apotheke den Likör zusammen. "Na, koste mal", sagt er. "Liköre hab ich schon unzählige in meinen Leben kreiert, das ist für einen alten Apotheker Ehrensache." Ich koste und sage, daß das Zeug schmeckt. 
Am anderen Tag schütten wir siebenprozentige Salzunger Sole dazu. Ich will ja, daß Salztröpfchen enthalten sind. Das Ergebnis ist eine Katastrophe. Es schmeckt wie übelste Plärre und am aller schlimmsten ist, daß das Likörchen milchig trübe wird. Die Salzsole hat eine chemische Reaktion losgetreten, die alle Kräuterbestandteile in fetten Flocken im Glas herum schweben läßt. Ratlos sitzen wir vor unserer Kreation und diskutieren den Fall. "Wo was drin ist, warum was macht, was es nicht soll - dann muß das raus, was das macht. Eine alte Apothekerregel", sagt der Apotheker. Aus einer Schublade nimmt er eine Tropfpipette, tunkt die in die siebenprozentige Sole und läßt ein Tröpfchen Salzunger Sole in einen neuen, diesmal Zehn-Liter-Behälter tropfen. 
"So, nun haste dein Salz in den Salzunger Salzströpfchen - ist nicht mal gelogen, es ist ein Tropfen Salz drinne", sagt er grinsend." Den Salzgeschmack, den du ja unbedingt willst, machen wir dann halt mit Kampfer - das merkt kein Mensch und ist auch viel gesünder. Nu machste dein Etikett: Salzunger Salztröpfchen - der freundliche Magenbitter, aus dem Heilbad Bad Salzungen, hergestellt nach einem alten wieder entdeckten Rezept mit Heilkräutern des Thüringer Waldes, echter Salzunger Sole und Weingeist. Ist alles drin - die Rezeptur bleibt unser Geheimnis, so lange es diesen Likör gibt." 

Ein paar Tage später habe ich die Genehmigung der Stadt, das Stadtwappen für das Liköretikett zu benutzen und aus dem Glaswerk Ernstthal habe ich ein paar Hundert Obstlerflaschen mit Bierflaschenschnappverschluß besorgt. Die Kalkulation ergibt, daß die manufakturmäßige Kleinstproduktion in der Apotheke einen Verkaufspreis beschert, der teurer ist, als bester schottischer Whisky. Die 0,2 Literflasche kostet soviel, wie eine ordentliche Schnapsgranate bei Aldi. 

Pünktlich am 11.11. zum Karnevalsauftakt wird mit viel Tamtam in Presse und Plakaten und Veranstaltungen der Magenbitter aus der Taufe gehoben. Am späten Abend fahr ich mit den restlichen Flaschen zu Elli. Tröpfchen werden wieder mal ausgetauscht und mit Tröpfchen die Tröpfchen begossen. Einige Jahre später geht der Produktzyklus der Salztröpfchen seinem Ende entgegen. Ein neues, ein besseres Produkt mit Blattgold und ohne Salztröpfchen wird vom Apotheker aus der Taufe gehoben. Ich war da schon nicht mehr in der Stadt. 

Die Elli holt um diese Tage ganz abgehetzt einen kleinen fünfjährigen Jungen aus dem Kindergarten. "Na du Tröpfchenmeister, sagt sie, "womit hast Du dich den heute wieder im Kindergarten vollgetröpfelt?"
"Ich bin kein Tröpfchen!" Sagt der. "Doch, bist du doch - dich haben sogar Tröpfchen gemacht...", sagt Elli und wischt sich mit dem Zeigefinger eine kleine Schweißperle von der Stirn und leckt zart mit spitzer Zunge an diesem eigenen Salztröpfchen. 

Von dem Salztröpfchenheini mit dem schwarzen Hund bist du jedenfalls nicht, denkt sie. Der Mistkerl hat sich das behördlich bestätigen lassen, daß er eine total andere Blutgruppe hätte. Mit ein paar Blutströpfchen. 

© Richard Hebstreit, 2002
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