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Katzen Wolf

Katzen - Wolf war in mehrer Hinsicht ein "Original". Vielen Salzungern war er  unbekannt, weil er alleine, sehr zurückgezogen und unauffällig lebte. Beschäftigt war er, als er noch berufstätig war, bei der Deutschen Reichsbahn als Telegraf. Heute würde man  Artur wahrscheinlich den Sonderlingen zuordnen und sonderlich war er schon einmal  durch seine tiefe Gläubigkeit die er anders auslebte als ganz normale Christen. Fast jedes kirchliche Fest wurde von Artur Wolf vorgefeiert und nachgefeiert. Er konnte von seinem lieben Gott einfach nicht genug bekommen. Obwohl er in der katholischen Gemeinde zu den eifrigen Besuchern der Gottesdienste zählte, reichte ihm das nicht seinen Glauben auszuüben und er baute sich an sein kleines  Häuschen in der Kaltenborner Straße eine kleine Kapelle an. 

Diese Kapelle war komplett wie eine katholische Kirche ausgestattet. Sie hatte einen klitzekleinen Kirchturm mit Glocke, einen Hauptaltar und mehrere Nebenaltare. In der Ecke des ca. 20 Quadratmeter  großen Raumes war eine Kanzel angebracht und unterhalb der Kanzel befand sich ein Beichtstuhl. Jeder Quadratzentimeter der Wände war mit Heiligenbildern, Wandkandelabern und Wandteppichen  prunkvoll dekoriert. Neben einem Harmonium, auf dem ein riesiges altes Radio stand auf einem Podest ein ca. 2 Meter hoher Modellbau des Köllner Doms. 

Die Schnitzereien waren außerordentlich filigran und wenn er ein Seitenschiff zur Seite klappte, konnte man einem umgebauten Theaterglas in das Kirchenschiff hineinsehen, wo sich ebenfalls sämtliche Altare und Sitzbänke wie im Original befanden. Die Heiligenbilder waren zum Teil beschnittene Briefmarken und kleine Taschenlampenbirnchen beleuchteten die ganze Pracht. Alles funktionierte. Die Kirchturmuhr, das Glockengeläut und die  Orgel. Die Glocken und die Orgel spielten mit einen ganz einfachem Trick. Das Vorkriegsradio hatte einen der ersten elektrischen Schallplattentonabnehmer und war mit dem ganzen Haus verkabelt. So hatte eben der Kölner Dom auch einen Lautsprecher und es war für Artur Wolf keine Kunst den Papst über Radio Vatikan oder über eine Schallplatte in seinem Kölner Dom  predigen zu lassen. 

Wenn Artur mal ganz gute Laune hatte (Kinder konnte er ansonsten nicht leiden), machte Artur mit den Kindern der Nachbarschaft eine Multimediashow zu Zeiten wo man das Wort Multimedia noch nicht kannte). Zuerst hielt er uns von der Kanzel im vollem Talar eine Strafpredigt, wen wir alles nicht ärgern sollen. Dann  machte er das Licht in seiner Kapelle aus und der Kölner Dom begann zu Läuten. Danach öffnete er den Dom, zündete einen klitzekleinen Weihrauchbehälter an und die Orgel begann zu spielen. Ein alter Schmalfilmprojektor ratterte los und der Papst zelebrierte in vollem Ornat eine Messe. Der Projektor stand vor dem Hauptportal und vor dem Hauptaltar spannte er einen Bogen Papier auf die das Kinogeschehen projiziert wurde. War die Vorstellung beendet, wurde er unfreundlich und jagte uns vom Grundstück.

Artur Wolf war ein großer Tierliebhaber und da war er ebenfalls extrem. So 10 Katzen hatte er ständig, manchmal waren es auch 50 und mehr. Wenn er vor seiner Kapelle im Sommer saß und Kaffee trank, welchen er grundsätzlich selber röstete  war es keine Besonderheit, daß trotz der vielen Katzen im Garten auch noch ein Rabe  oder ein Steinkauz am Tisch saß. Die Katzen hatten seltsame Namen. Da gab es den weißbärtigen Albert Einstein, den dürren Konrad Adenauer, Churchill, den fetten Hermann Göring, Kaiser Wilhelm, Goethe, Schiller, Marlene Dietrich, es gab aber auch Heinerle und Mutzi und Schnupsi. Nonames gab es bei Katzen Wolf niemals. 

In seinem Garten konnte man vor lauter Grünzeug nicht treten. Riesige Bohnengerüste mit riesigen Bohnen und riesige Kürbisse waren das Ergebnis des Düngens mit Hühnerkot und Katzenscheiße. Mit dem Kaffee hatte es eine weitere Besonderheit. Artur Wolf hatte zentnerweise ungerösteten Kaffee auf seinem Boden, welcher ihn ein Verwandter, welcher wahrscheinlich in den frühen Fünfzigern als Schmuggler aktiv war, zukommen ließ. Das war dann Anfang der 50er Jahre ein kompletter Waggon voll, von dem nur einige  Leute in Bad Salzungen wußten und die Klappe hielten und Kaffee tranken zu Zeiten wo es kaum Kaffee gab.

Wenn meine Mutter mal keine Zwiebeln mehr hatte mußte ich bei Katzen-Wolf welche holen. Ich konnte in jeder Hand gerade mal je eine Zwiebel halten für mehr war kein Platz. In seinem Garten duldete er ab niemanden, weil die Leute Trottel wären und in seiner Pferminze herumtrampelten und Majoran für Unkraut hielten. Ein weiteres Faszinosum war, daß Artur mit einem Fahrrad herumfuhr, welches keine Kette hatte. Artur hatte ein Fahrrad mit Kardanwelle und der Schlossermeister Rauscher  raufte sich die Haare, weil er die oftmals gebrochene Kardanwelle reparieren mußte. Zwenger hat  dann irgendwann ein LKW-Ventil umgeschmiedet, welches nun endlich hielt.

In den fünfziger Jahren war Homosexualität in einer Kleinstadt wie Bad Salzungen ein absolutes Tabuthema und ich bekam von meinem Großvater einmal ein paar hinter die Ohren, als ich ihm erzählte,  daß der Kirchopa in einem langen Kleid und einer großen Kittelschürze in seinem Garten herumsaust und ein entlaufenes Huhn einfangen wollte. Ich sollte da nicht hin, denn  der "Spinner" wäre ihm nicht geheuer. Mein Vater dagegen lachte und sagte mir, es gäbe  halt Männer, welche Frauen nicht leiden können und deswegen jede Frauenarbeit selber machen. Deswegen hätte er auch bei unserer Mutter ungarisch kochen gelernt  und züchtete deshalb in seinem Garten Paprika,  weswegen wir rechtzeitig auch die Paprika- Pflänzlinge hätten. Aus allen Ecken Deutschlands kämen ab und zu im Jahr seine  "lieben Freunde" um seine Suppen oder Braten zu kosten denn  er war auch  als Koch berühmt. Ich fand es  eben nur putzig, wenn er mit hoher Fistelstimme Hermann, Albert, Schnupsi und Marlene zum  Abendessen rief.

. richard hebstreit 
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